Kolumne Mittelalter: Unterwegs zur Anti-Teilhabe

Viele der Probleme, die den mittelalten Menschen nerven, scheinen so lösbar wie nie. Die wirklich wichtigen sind es leider nicht.

Kinder schauen auf Büffel

Kinder gucken Büffel. Die gucken nicht zurück. Foto: dpa

SUVs stehen aus vielerlei Gründen öffentlich in der Kritik.“ So sieht es Wikipedia. Was ich sehe, ist, dass SUVs die neuen Pelze sind. Vati kauft sie Mutti, damit sie – ja, was eigentlich? Sich sicher und geborgen durch den Großstadtdschungel bewegen kann?

Es gibt heute keinen Grund mehr, Tieren das Fell abzuziehen: „Der technologische Fortschritt der vergangenen Jahre macht es möglich, dass uns gleichwertige Alternativen zur Verfügung stehen, die die grausamen Praktiken unnötig werden lassen.“ Sagt Giorgio Armani. Und Robert Habeck, grüner Spitzenkandidatkandidat und Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, wird mit der Äußerung zitiert, der Tierhaltung und der damit verbundenen Tötung von Tieren für Nahrungsmittelzwecke sei mit der reichlichen Verfügbarkeit alternativer Lebensmittel eine wichtige Begründung abhandengekommen.

Dass Habeck in dem Amt, in dem er ist, eine solche doch nicht unradikale Vision eröffnet, das ist erst mal groß: Auch wenn Habeck noch klären muss, wie er mit dem bewaffneten Flüchtlingsstopper Boris Palmer und dem „Müssen jetzt ein paar harte Bilder aushalten“-Flüchtlingsertrinkenbilliger Thomas de Maizière dann das humane schwarz-grüne Deutschland gestalten will.

Aber vielleicht gehen Tiere nach den Zehntausenden von Jahren, in denen sie von Menschen ausgenutzt, gequält und geschlachtet wurden, ja einfach mal vor? Was sind die Kulleraugen eines syrischen Kindes auf einem untergehenden Schlauchboot gegen die eines Kälbchens beim Metzger? Gell?

Wie meint er das jetzt? Muss ich ja nicht wissen. Der mittelalte Mensch spürt einfach, dass ihn auf einmal Dinge nerven, die ihn früher kaltließen, ja die er in jugendlicher Ignoranz gar nicht wahrnahm.

Breitärschiges Autodesign

Tierleid zum Beispiel: Ich kann noch nicht mal mehr einen Fisch vom Haken nehmen und ihn totschlagen – als Kind kein Problem. Autos zum Beispiel: Ich habe zwar nie selber eines besessen, bin sie aber immer gern gefahren und habe mich auch nie weiter an ihnen gestört. Heute sehe ich sie, genau übrigens wie der Vater des Hard-Boiled-Krimis Dashiell Hammett, als „Mordwaffe“, die erstaunlich leicht in die Hände erstaunlich asozialer Leute gerät.

Wenn ich die einzelbestückten Autos in Berlin sehe, frage ich mich: Wohin wollt ihr alle? Und warum so: altmodisch, unpraktisch, gefährlich, laut, stinkend, unerfreulich – und da rede ich noch gar nicht vom Innenraum. Und auch nicht von der breitärschig-zuhälterischen Hässlichkeit modernen Autodesigns.

Ein Zukunft ohne totgebolzte Schweine und Rinder, ohne zerquetschte Radler und Kinder – sie scheint nicht mehr so weit weg. Und doch verleitet mich eine Politik, die hier etwas verändern will, sich aber links nicht nennen kann, weil nicht links ist, wer auf dem Feld der globalen Umverteilung – von Panama bis Blankenese – kuscht, eher zu dem, was seit einiger Zeit „Anti-Teilhabe“ heißt: Also zum – klar, privilegierten – Rückzug ins eigene Gärtchen.

Da steht jetzt das Problem mit den Ratten an. Aber die werden ja nicht für Nahrungsmittelzwecke getötet.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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