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Kolumne MithulogieDemokratie wäre eine super Idee

Es ist eine Katastrophe, dass wir uns nicht die Mühe machen, Wahlprogramme zu lesen. Lest endlich die Anleitungen, bevor Ihr wählt!

„Eine bessere Zukunft kommt nicht von allein.“ Ja, stimmt. Vielleicht. Wahrscheinlich. Wer weiß Foto: dpa

M ahatma Gandhi wurde einmal gefragt: „Was halten Sie von westlicher Demokratie?“ Worauf er antwortete: „Das wäre eine super Idee.“

Die Geschichte ist mit großer Wahrscheinlichkeit erfunden. Mit noch größerer Wahrscheinlichkeit von mir.

Manchmal braucht man alle Unterstützung, die man bekommen kann. Vor allem, wenn man hochschaut und die Bäume voller bunter Flecken sind. Was kein Zeichen für den beginnenden Herbst ist, sondern für den ­beginnenden deutschen Herbst – Pardon – deutschen Wahlherbst!

Ich gehe wählen, weil sich Leute für mein Recht zu wählen vor Pferde geschmissen haben. In Anbetracht dessen finde ich unser „Alle vier Jahre ein Kreuzchen machen und davon ausgehen, dass die Parteien eh tun, was ihnen die Wirtschaft vorschreibt“ ein wenig pietätlos. Realistisch, aber pietätlos.

Was ich dagegen für eine Katastrophe halte, ist, dass wir uns in der Regel noch nicht einmal die Mühe machen, die Wahlprogramme zu lesen, die wir den Parteien ohnehin nicht glauben.

Ein paar Testfragen:

Welche Partei möchte

– eine umfassende Digitalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs?

– die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden?

– die Arbeit von Hebammen wieder ermöglichen?

– die Arbeitslosenquote auf 3 Prozent reduzieren?

– Geheimdienste und Verfassungsschutz auflösen?

– Selbstständige verpflichten, in die gesetzlichen Krankenversicherungen zu gehen?

– die Wehrpflicht wieder einführen?

– mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum?

Die Antworten lauten in dieser Reihenfolge: CDU; alle; Grüne; CDU; Linke und Piraten; SPD; AfD; alle bis auf die Linke.

Die Wahlplakate dagegen verraten uns lediglich, welche PR-Firmen sich die Parteien geleistet haben oder nicht geleistet haben („Burkas? Wir stehen auf Bikinis“; AfD). Etwas läuft doch gewaltig schief, wenn die informativsten Plakate von der FDP stammen.

Deshalb mein Vorschlag: Bevor wir wählen, sollten wir die drei wichtigsten Punkte aus dem Programm unserer Partei nennen müssen – okay, von mir aus auch drei beliebige Punkte von irgendeiner Partei – ansonsten wird unsere Stimme ungültig.

Das ist natürlich nicht demokratisch. Aber genauso wenig ist es demokratisch, wenn Leute, die sich nicht einmal die Mühe machen rauszufinden, was die Parteien, die sie in Amt und Lohn wählen, eigentlich vorhaben, bestimmen, wo es in den nächsten vier Jahren langgehen soll.

Und da wir gerade dabei sind, hätte ich auch gern ein Kästchen für Nichtwähler*innen, die „Nein, mir passt das alles gar nicht“-Stimme.

Das werden wir in den nächsten vier Wochen wohl nicht erreichen. Aber wir können die Wahlprogramme lesen. Oder auf Englisch: rtfm – read the fucking manual.

Demokratie wäre eine prima Idee.

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Mithu Sanyal
Autorin
Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)
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9 Kommentare

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  • In unsere System läuft so viel schief, dass man selbst mit einer neuen Partei um die 20 - 25% bei der Bundestagswahl nicht all zu viel ändern könnte.

     

    Durch die Lobbyisten und deren Macht auf einzelnen Politiker einzuwirken wird sich auch dann nichts ändern, da dass Geld immer noch die hauptsächliche Macht in der Regierung stellen würde.

     

    So lange sich in Bezug auf "Geld & Besitz" nichts ändert, werden wir weder eine Gerechte noch Soziale Politik bekommen. Alle in der Öffentlichkeit agierenden Politiker, egal welcher Partei, sind schon durch das herrschende System gezwungen, sich nach der Fahne der finanziellen Macht auszurichten. Denn in unserer Gesellschaft läuft absolut nichts, wenn der Finanzrahmen nicht stimmt.

     

    Die einzige Möglichkeit für die Politik relativ unabhängig von finanziell gut gestellten Gruppen zu werden, wäre eine Besteuerung zu finden, die so gerecht auf die tatsächlichen Einkommens und Vermögenswerte abgestimmt ist, dass wirklich jeder seinen höchstmöglichen Anteil an der Gesamtfinanzierung des Staates und seiner Pflichten gewährleistet.

     

    In dieser Traumwelt könnte ein Politiker seine Visionen zur Verbesserung des demokratischen Zusammenlebens in unserem Land auch durchsetzen!

     

    Da das aber eben wohl ein Traum bleiben wird, müssen wir damit Leben, dass sich in erster Linie weiterhin jeder selbst der Nächste ist, ganz besonders aber die, die durch ihre vom Wähler gegebene Macht dazu besonders Befähigt wurden!!!

     

    Eine demokratisch geführte Welt, auch wenn es nur unser kleines Deutschland wäre, ist und bleibt ein schöner Wunschtraum, solange es noch "nur uns Geld" geht!

     

    Ein Gedanke; Jeder bringt sein Potenzial bestmöglich in die Gesellschaft ein, nur um der Allgemeinheit einen Dienst erbracht zu haben und weil es möglich ist, denn niemand ist auf Geld angewiesen!!!

     

    Wunschwelt eines Träumers nach Anregung seiner Teenager Tochter!?!

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Die informativsten Plakate stammen von der FDP?

    Wer das glaubt, glaubt auch an den Weihnachtsmann.

    Informativ ist, dass der selbsternannte smarte Lindner uns - den Steuerzahler - 1,4 Millionen Euro gekostet hat.Wir Wähler/innen haben einen Teil seiner Pleite gezahlt.

    Das musst du erst einmal hinkriegen so unverschämt in den Steuersäckel zu langen und keinerlei Scham zu verspüren.

     

    Er ist nicht der Einzige, der gerne Steuergelder für seine Ideen missbraucht.

    Der freundliche Cem von den Grünen nimmt es auch nicht so genau. https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/05/25/mit-deutschen-steuergeldern-gruene-machen-werbung-fuer-tuerkei-wahlen/

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Die Nichtwähler haben die Mehrheit, wenn sie es denn mal ausnutzen würden oder lieber nicht?

    Bin in dieser Frage zwiegespalten:-)

     

    Und ja, Demokratie wäre nicht schlecht.

    Hat jemand eine Idee wohin sie ausgewandert ist?

    Was das "vor die Pferde schmeissen" betrifft:

    Das war vielleicht damals noch wichtig, da Hoffnung auf Besserung vorhanden war.

     

    Heute schmeisst sich jemand davor wegen Madame alternativlos oder den roten ehemaligen Genossen oder den grünen Fdplern.Liste ist erweiterbar!

  • "Etwas läuft doch gewaltig schief, wenn die informativsten Plakate von der FDP stammen."

     

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  • 8G
    82741 (Profil gelöscht)

    "Und da wir gerade dabei sind, hätte ich auch gern ein Kästchen für Nichtwähler*innen, die „Nein, mir passt das alles gar nicht“-Stimme."

     

    Mein Stimmzettel hatte 21 Parteien. Wer da nichts findet, sollte vielleicht doch selbst mal aktiv werden, als ein Nörgel-Votum abzugeben.

    • @82741 (Profil gelöscht):

      Partei 22 wird alle Probleme lösen.

      • 8G
        82741 (Profil gelöscht)
        @sup:

        Da sind ja noch die 21 weiteren Parteien, die in meinem Bundesland nicht antreten, z.B. die "Magdeburger Gartenpartei" oder die "du. - Die Urbane. Eine HipHop Partei".

         

        Und alle Probleme lösen kann die "PDV - Partei der Vernunft", oder alternativ, das "Bündnis C - Christen für Deutschland"

         

        Alle findet man beim Bundeswahlleiter: https://www.bundeswahlleiter.de/info/presse/mitteilungen/bundestagswahl-2017/10_17_teilnahme.html

  • Wahlprogramme? Wirklich? Die irrelevantesten Papiere in unserer Demokratie direkt nach dem Klopapier im Kanzleramt?

     

    Zu diesem Thema hätte ich doch etwas mehr intellektuelle Tiefe und kritische Reflexion von der taz erwartet.

    • @Yoven:

      Wie bitte? Im Kanzleramt ist Klopapier irrelevant? Sind Sie da sicher, YOVEN?