Kolumne Minority Report: Nett, mehr nicht
Verständlich, aber nicht sonderlich hilfreich: Die Aufrufe, aus Solidarität eine Kippa zu tragen, gehen am eigentlichen Problem vorbei.
B ei diesem Wochenendwetter in Berlin wäre der Wannsee eine echte Option gewesen. „Pack die Badehose ein“? So unbeschwert ging es leider nicht. Denn es gab einen anderen Bekleidungsrat: Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte dazu aufgerufen, aus Solidarität eine Kippa zu tragen, um ein Zeichen gegen die Al-Kuds-Demo zu setzen, bei der alljährlich gruselige Gruppen mit antisemitischen Parolen zusammenkommen. Einige Tage zuvor, hatte Klein Juden noch davor gewarnt, in Deutschland überhaupt eine Kippa zu tragen.
Kippa ja oder nein? Wer sollte sie tragen, wer nicht und wer sagt das überhaupt? Es klingt verwirrend und das ist es auch. Eins steht fest: Deutschland hat ein wachsendes Problem. Im Jahr 2018 wurden hierzulande 20 Prozent mehr antisemitische Straftaten als noch im Jahr zuvor registriert.
Nun wittern die einen darin die Chance, grundsätzlich gegen die muslimische Minderheit und Einwanderung zu mobilisieren, andere verweisen darauf, dass der Großteil der Straftaten dem rechten Spektrum zuzuordnen ist. Wieder andere sagen, dass die Polizei die Straftaten nicht richtig zuordnet. Eine schwierige, aber wichtige Diskussion.
Auch wichtig sind Gesten der Solidarität. Eine freie Gesellschaft kann nur dann gut sein, wenn wir uns über die eigene Betroffenheit hinaus für etwas einsetzen. In diesem Fall heißt das: für die körperliche Unversehrtheit von Juden und Jüdinnen, gegen jegliche Form von Antisemitismus. Nun scheint es irgendwie in Mode gekommen zu sein, religiöse Symbole aus Solidarität zu tragen. Schon im vergangenen Jahr wurde in mehreren Städten zum kollektiven Kippa-Tragen aufgerufen, nachdem ein Israeli, der Kippa trug, in Berlin mit einem Gürtel attackiert wurde.
Aber das einmalige Tragen einer Kippa ist eben auch einfach nur eine einmalige symbolische Geste. Diese Geste ändert nichts für diejenigen, die sich tagtäglich fragen müssen, ob bestimmte Gegenden sicher für sie sind. Es ist ebenfalls keine Lösung, irgendwem zu raten, keine Kippa zu tragen. Wenn es für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger gefährlich ist, sich in der Öffentlichkeit als Juden zu erkennen zu geben, dann ist das das zu lösende Problem. Alles andere stünde in der Tradition des Victim Blamings – also einer Täter-Opfer-Umkehr. Es darf nicht gefährlich sein, irgendwo einen Davidstern zu tragen, eine Kippa, ein Kopftuch oder ein Kreuz. Religionsfreiheit muss für alle überall gewährleistet sein.
Doch die Realität sieht anders aus. Erst kürzlich gab die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz (CDU) bekannt, prüfen zu wollen, ob muslimische Mädchen in der Grundschule Kopftuch tragen dürfen, es ging um Maßnahmen bis hin zum Verbot. Doch staatliche Kleidungsvorschriften sind selten eine gute Idee. Wer was wann tragen darf, ist keine modische, sondern eine sehr politische Frage – und das fängt schon bei der Badehose an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen