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Kolumne Minority ReportMit Faschos auf dem Sofa

Fatma Aydemir
Kolumne
von Fatma Aydemir

25 Jahre Rostock-Lichtenhagen, eine Woche Charlottesville. Und die AfD darf immer weiterlabern. Willkommen in der Gegenwart.

Alice Weidel: kann pseudo­humanistische Argumentation und Aggrogefuchtel Foto: dpa

D iese Woche jähren sich zum 25. Mal die rassistischen Anschläge von Rostock-Lichtenhagen. Im August 1992 randalierten mehrere hundert Neonazis tagelang vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber und steckten das Sonnenblumenhaus, ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter*innen, in Brand.

Tausende Menschen sahen nicht nur dabei zu, sie applaudierten und versperrten der Feuerwehr den Weg. (Das Versagen der Behörden wird übrigens sehr eindrücklich in Burhan Qur­banis Film „Wir sind jung. Wir sind stark“ erzählt.) In den vier Wochen nach Lichtenhagen folgten 15 weitere rechtsextreme Anschläge auf Asylbewerberheime, allein in Mecklenburg-Vorpommern. Aber das ist alles vorbei und ganz, ganz lange her. Zum Glück.

Denn nun können wir schockiert in Richtung USA blicken, auf diese verrückten Amis, die erst Trump zum Präsidenten wählen und sich dann wundern, wenn Polohemdenträger mit Fackeln und Hitlergruß ihre Überlegenheit als Herrenrasse feiern.

Wir können über den Hergang des Sezessionskriegs schwadronieren und darüber, wie sinnvoll es ist, Südstaatendenkmäler umzuwerfen. Und Sonntagabend schauen wir „Anne Will“, und dort darf Alice Weidel, das freundliche Gesicht, die eloquente Zunge der AfD, von direkter Demokratie labern, als knüpfe die Rhetorik ihrer Partei nicht unmittelbar an die Stimmungsmache an, die damals wie heute den Nährboden für rassistische Anschläge liefert. Die Menschen umbringt.

Two-Face-Alice

Man muss sich nur mal die Videos von Alice Weidels Reden anschauen, die sie auf AfD-Veranstaltungen hält, um festzustellen: Die Spitzenkandidatin des „freiheitlich-konservativen Flügels“ kann mal so, mal so. Two-Face-Alice. Im Öffentlich-Rechtlichen kriegen wir verständnisvolles Nicken, pseudo­humanistische Argumentation, „Migranten“-Sprech. Und auf YouTube: populistische Slogans, Aggrogefuchtel und ganz viel „Ausländerkriminalität“.

Die Frage, ob man mit der AfD reden soll oder nicht, wurde zwar immer wieder diskutiert. Trotzdem ist mir immer noch nicht klar, ob die AfD zur besten Sendezeit auftreten darf, weil sie im Herbst womöglich in den Bundestag ziehen wird, oder ob sie in den Bundestag ziehen wird, weil sie regelmäßig zur besten Sendezeit mitdiskutieren darf. Weil sie normalisiert wird.

Vergangene Woche ist die Welt bei einem Video aufgeschreckt, das eine schwerbewaffnete, Trump-treue Bürgerwehr in Charlottesville zeigte. Aber die Schusswaffenäußerungen aus der AfD wurden mit halbherzigen Entschuldigungen ganz schnell unter den Teppich gekehrt.

Erinnern Sie sich noch? Im Zuge der aufgeheizten Stimmung nach dem Kölner Silvester forderten sowohl Frauke Petry als auch Beatrix von Storch, die deutsche Polizei solle an der Grenze auf Geflüchtete schießen. (Aber nicht auf Kinder, fügte von Storch später hinzu).

Beide sind immer noch in der AfD, die AfD sitzt immer noch auf ARD-Sofas. Wie eine ganz normale Partei. Wie eine zukunftsfähige Option. Aber ja, lasst uns lieber über die Faschos in Amerika herziehen. Denn die sind ja echt so crazy.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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15 Kommentare

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  • Liebe Redakteurin,

     

    in dem Zusammenhang ob die AfD zur besten Sendezeit auftreten darf oder nicht, haben Sie auch gut 3000 Anschläge über die Partei verschwendet.

    Also wenn dann, auch selber Konsequent sein! VG.

  • Soll die AfD mehr Zeit im Fernsehen bekommen oder weniger? Wer lügt im Fernsehen am meisten? Und welche Partei in Deutschland hat die meisten inhaltlichen Widersprüche?

     

    Studie beweist: Niemand lügt im Fernsehen so oft wie Frauke Petry von der AfD

    http://www.mopo.de/news/politik-wirtschaft/studie-beweist--niemand-luegt-im-fernsehen-so-oft-wie-frauke-petry-24229402

     

    Dann gibt es noch sehr viele inhaltlichen Widersprüche bei der AfD.

     

    Als AfD-Politikerin wollte Petra Federau deutsche Frauen vor arabischen Männern schützen. Allerdings hat sie früher offensichtlich Geld damit verdient, deutsche Escort-Damen nach Dubai zu vermitteln. Wollte Frau Federau etwa Deutsche Frauen zum Escort ins Ausland überreden und so schützen?

    http://www.stern.de/politik/deutschland/afd-kandidatin-hat-deutsche-escort-frauen-nach-dubai-vermittelt-6872912.html

     

    Frau Alice Weidel ist lesbisch und in der AfD - ist das kein Widerspruch? Das Familienbild à la AfD ist ja ein ganz anderes.

     

    AfD soll nach eigenen Angaben patriotisch sein. Dabei zahlt Frau Alice Weidel Steuern in der Schweiz? Wo ist ihr Patriotismus denn geblieben?

     

    Es gibt viel mehr Widersprüche... Vielleicht ist es ein Kalkül, wenn die AfD sich in Skandalen und Widersprüchen verzettelt, um in der Öffentlichkeit die eigene Werbung lauter und öfter zu betreiben. „Gern auch mit Lügen auf den Stimmenfang gehen.“

     

    Soll dann die AfD mehr Zeit im Fernsehen bekommen oder weniger? Bei so vielen Widersprüchen sollten auch die CDU, die SPD, die Linke und die Grünen auch dabei sein, wenn die AfD eingeladen wird. Denn Wähler brauchen mehr Wahrheit und Objektivität!

    • @Stefan Mustermann:

      Diese Argumentation ist mir zu flach und ich halte sie für untauglich. Die Studie aus der mopo hat sich später als z.T. verfälscht herausgestellt ist daher untauglich.Federaus frühere Tätigkeit war ein ziemlich peinliches Detail, allerdings reicht es nicht darauf hinzuweisen, denn zum Einen müßte man Politikern dann absprechen, ihre Position zu ändern und zum Anderen würde eine solche Argumentationsweise eine "perfekte" Vita eines Politikers als Vorraussetzung festschreiben. (Wehe Denjenigen, die früher mal in "nicht-staatstragenden" Grüppchen aktiv waren...). Das Familienmodell von Frau Weidel ist nicht das ihrer Partei, das ist richtig, ist aber kein Argument, denn natürlich kann auch eine Lesbe in fester Beziehung mit Kind für die "klassische Familie" werben, das ist kein Widerspruch. Auch Steuern in der Schweiz ist kein Argument gegen Patrioten/Rechtskonservative (nichtmal gegen Nationalisten), denn wenn man den Punkt anführt, muß man auch zu Ende denken: Jemand, der die Sicht vertritt, daß der Staat unberechtigt Steuergeld für fremde Länder zahlt (Griechenlandrettung...) und ungerechtfertigt Sozialleistungen an Fremde "verschenkt", für den ist es ganz logisch, diesem Staat nach Möglichkeit Einnahmen zu entziehen (etwa in der Schweiz), die dann nicht "an Fremde verschenkt werden können". Sie sehen: Ihre Argumente ziehen nicht in der Auseinandersetzung mit der AfD, Sie müssen Andere finden. (In einer Talkshow hätte die AfD gegen solche Argumente leichtes Spiel.)

  • Von der AFD hat doch bisher noch kein Politiker punkten können.

    Zum Glück fehlt denen jegliches Charisma.

  • Die AfD war in den letzen Monaten deutlich unterrepräsentiert im öffentlichen Rundfunk im Vergleich zur FDP die auch nicht im Bundestag ist und auch nicht in mehr Landtagen sitzt.

    Das die Autorin anscheinend eine nicht verbotene Partei komplett aus der öffentlichen Berichterstattung raushalten will zeugt von einem mangelhaften Demokratieverständnis.

    Als die Grünen damals aufkamen hielten viele diese für Terroristenunterstützer und demokratiefeindlich.

    Das wurde auch ausgehalten und dass war gut so.

  • Natürlich gehören Sie eingeladen... Und rethorisch widerlegt, wenn sich da krude Äußerungen breit machen... Das ist Demokratie... Aber noch schlimmer als das 2gesichtige Verhalten von Frau weidel ist doch, wie sich die Herren Kauder und Oppermann gefetzt haben wie kleine Schulkinder... Der Feind meines Feindes ist mein Freund... Die AfD hatte am Sonntag 2 Freunde, abwechselnd agierend... Und da liegt das viel ärgere Problem als einer Minderhiet ihre demokratischen Möglichkeiten zu bieten...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Was beim Thema Lichtenhagen meist unterschlagen wird:

    Wie die Punks sich gesammelt haben, um den Mob zu stellen und sie daraufhin von der "Polizei" zusammengeschlagen wurden.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    "Beide sind immer noch in der AfD, die AfD sitzt immer noch auf ARD-Sofas. Wie eine ganz normale Partei."

     

    Die AFD als Sonderfall zu behandeln, hat diese Partei erst stark gemacht. Diese Partei sollte wie jede andere daran gemessen werden, was sie in den Parlamenten leistet.

    So haben sich auch alle anderen radikalen Parteien entlarvt. Sobald sie etwas entscheiden mussten, das auch dokumentiert wird, ist ihnen eine große Zahl an Wähler*innen weggelaufen.

     

    Es ist äußerst gefährlich relativ große Minderheiten aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen. Ich wiederhole mich: In einer repräsentativen Demokratie müssen Arschlöcher von Arschlöchern repräsentiert werden. Das ist manchmal schmerzhaft, aber es gehört dazu.

  • Das Problem ist nicht die AfD einzuladen, sondern: Zu welchen Themen wird sie immer eingeladen (Geflüchtete, Einwanderung, Ausländer, Kopftuch) und zu welchen Themen weniger oft (Wirtschaft, Bildung, Verkehr,..).

     

    Zu deren "Kernkompetenz" bekommt die AfD eine breite PLattform, wohl in der Hoffnung, dass es dann krawallig wird und der Kunde (Zuschauer) vermehrt einschaltet?

     

    Es ist leider wie in den USA: Krawall (Trump-Tweets) geht um die Welt, Inhalte gar nicht oder finden im Verborgenen statt.

     

    Die Medien tragen maßgeblich Mitschuld an dem Erstarken von Trump, AfD und Co.

  • Eine Partei, die zu Wahlen zugelassen ist, die In Landtagen vertreten ist, ist grundsätzlich Teil unserer Gesellschaft. Auch wenn das inhaltlich unangenehm ist. Das ist Demokratie.

     

    Das Problem ist doch nicht die AfD, sondern die Leute, die sie wählen.

     

    Hätten die anderen Parteien reale Politik und nicht nur Machtpolitik im eigenen Interesse gemacht, bräuchten wir uns gar nicht vor der AfD zu ekeln (das Fürchten kommt noch). Wer hat den Osten verscherbelt, die Leute verarscht? Honecker war's nicht.

     

    Und nun freut sich der westdeutsche stramm rechts denkende Altvordere über die allmählich wieder salonfähige werdende Gesinnung.

  • Trotzdem ist mir immer noch nicht klar, ob die AfD zur besten Sendezeit auftreten darf...

     

    Geht es noch - "auftreten dürfen"?

    Die AfD ist eine gleichberechtigte Partei in der deutschen Parteienlandschaft. Und dazu gehört auch eine ganz normale Behandlung.

     

    Und das was dazu von links-grüner Seite kommt tendiert stark in Richtung Gesinnungsdiktatur.

     

    Meine Empfehleung: Vielleicht mal den einen VHS-Kurs "Grundlagen der Meinungsfreiheit besuchen"

    • @pioppo:

      !

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @pioppo:

      "Eine ganz normale Behandlung" hat die AfD von Anfang an nicht bekommen. Sie war in den letzten Jahren im öffentlichen Diskurs deutlich überrepräsentiert, wenn es um "Ausländerthemen" ging. Jede noch so widerliche Provokation hat sie in die breite Öffentlichkeit gebracht und ihre Positionen "normalisiert".

      Eine normale Behandlung für eine Partei, die Alkoholiker und Drogenabhängige in Lager sperren will, wäre, sie überall mit ihrer allgemeinen Menschenfeindlichkeit und ihrem Antisemitismus im Besonderen zu konfrontieren und ihr keinerlei Raum dafür zu geben, sich als "normal", ja geradezu humanistisch auszugeben.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @pioppo:

      Zur ganz normale Behandlung gehört, den Schwachsinn, den die Partei absondert, zur besten Sendezeit zu widerlegen. Die Partei hat null Argumente und das muss öffentlich auch vorgeführt werden. In keinem Parlament hat die Partei bisher sinnvolle Arbeit geleistet.

  • Hmm, schwieriges Thema. Ist halt die Frage was das ÖR sonst machen soll. Die AfD wurde ja eigentlich komplett ausgespart in den letzten Monaten und das scheint auch (zumindest wenn man den Umfragen glauben darf) zu fruchten.

    Die frühere Strategie des "Entzauberns" ging ein wenig nach hinten los, weil dadurch der AfD auch viel zu viel Raum eingeräumt wurde.

     

    Was mich hier eher gestört hat, ist, das von den kleinen Parteien nur 2 rechte anwesend waren, aber Linke und Grüne gar keinen Platz bekamen.