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Kolumne MillionärSchuld und Säbelzahntiger

Der Weg zum Reichtum kann auch über Cyberkriminalität gehen. Nebenbei geht‘s dem Kapitalismus an den Kragen. Ein Selbstgespräch.

Stylischer Schädel aus Brasilien, macht Lust auf Shopping. Foto: Oliver Dietze/dpa

W enn in einer Gesellschaft alle genug haben, wird es dann noch Gier und Kapitalismus geben? Quatschfrage. Kannst du mir lieber helfen, ein Virus zu programmieren?

Die Sache möchte ich Anhand einiger Überlegungen des Philosophen Christoph Türcke erörtern. Grundgedanke ist, das Geld einen prähistorischen Vorläufer hat: das Menschenopfer.

Jo. Schau mal, hier steht auf Englisch: „Virus Development Kit“, allerdings ist die ganze verkackte Doku auf Russisch. Was heißt Примеры использования функций и макросов ??

Weiß ich nicht, ich bin du. Also, folgende Szene: Steinzeit, Säbelzahntiger hüpft aus dem Busch, roar! Alle stochern ängstlich mit ihren Speeren nach ihm. Der Tiger greift sich einen aus dem Stamm und frisst ihn. Der Rest hat Schuldgefühle und einen Schock. Solche Traumata beginnen die Menschen durch selbst erzeugtes Wieder-Erleben zu verarbeiten. Sie spielen das Zerfleischen nach und opfern einen Jüngling. Klingt deppert, war aber so.

Könnten wir uns kurz dem Publikum zuwenden? Gern. Liebes Publikum, ich versuche durch Cyberkriminalität reich zu werden. Viren verschicken, Kreditkarten abgreifen, so Zeug. Ist nicht schwer. Hab mittlerweile Anleitungen zum Virenbauen gefunden, mit englischer Doku. Recherchezeit: 5 Minuten.

Jetzt ich! Liebes Publikum, die Opfer zur Behebung des Urtraumas wurden immer abstrakter. Nach Menschen kamen Tiere auf den Altar, dann Gaben wie etwa geschnitzte Riesenpenisse oder Bitcoins. Am Anfang jedoch stand das Motiv für Geld: Schuld begleichen durch Zahlung.

Hier ist übrigens der Beginn des Sourcecodes für einen Keylogger: using namespace std;char * extractFilename(char * path){char * ret = path;bool isFullPath = false;for (int i=0;i<strlen(path);i++){if (ret[i] == ‚\\‘){isFullPath = true;} Der komplette Virus findet sich auf rohitab.com.

Als erstes kam also das Schuldgefühl in die Welt. Quatsch? Beobachten Sie sich doch mal selbst beim Zahlen. Entdecken Sie das tiefe Unbehagen? Es ist das Bauchgrummeln des archaischen Schocks über den zerfleischten Freund. Und nach dem Kauf? Fühlen sie sich gut. Sie haben das Wieder-Erleben überstanden.

Glauben Sie mir, ich kann programmieren: Mit dem Code oben können Sie mit einem Semester Informatik intus einen Keylogger basteln. Das sind die Viren, die alles mitlesen, was Sie über die Tastatur eintippen, zum Beispiel Ihre Kreditkartennummer.

Kaufen Sie auch mal im Netz ein und achten Sie dabei auf das Gefühl der Urschuld.

Den Mitschnitt übertrage ich dann auf einen FTP-Server, den ich anonym in zwei Minuten am Arsch der Welt einrichte. Dann plündere ich ihr Konto.

Zur Eingangsfrage zurück: Auch in einer perfekten Gesellschaft gibt es Gier. Weil die Urschuld bleibt und damit die Sehnsucht nach dem Ritual. Die Befriedigung des Rituals wiederum gebiert die Gier.

Aha. Was willst du mir damit eigentlich sagen?

Nun, befreie die Menschen nicht von der Gier. Sondern von der Schuld. Und der Kapitalismus implodiert.

Dann hätten wir das geklärt. Kapitalismus zerstört und Virus geschrieben, in 80 Zeilen. Sogar mit Säbelzahntiger. Yep.

Liebes Publikum, Sie bekommen in den nächsten Tagen per Mail eine Langversion dieser Kolumne. Im Anhang.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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