Kolumne Melodien aus Malmö #2: Aserbaidschanische Klimafragen
2012 war Rashad Shadiqov ein Supporter des ESC in Baku. Nun ist er in Schweden zu Gast – und fühlt sich überhaupt nicht wohl. Man spürt Kränkung.
M almö gibt ja mit dieser Tatsache an: Die Welt muss nicht in die schwedische Hafenstadt kommen, sie ist ja längst da. So viele Menschen, die offensichtlich nicht nordisch-blond aussehen. Ja, Malmö ist eine Einwandererstadt – und sie bekennt sich auch dazu. Gut, dieses Kapital zu haben, diesen Reichtum, sagt Bürgermeister Ilmar Reepalu, dessen Name anzeigt, der finnisch-schwedischen Minderheit anzugehören.
Und so sieht sich ja die Stadt selbst: multikulturell, dem Leben zugewandt, neugierig, offen – also am besten attributiert mit Worten, die eine promotionell selbstbewusste in aller Welt sich gern anhängt.
Aber wie empfinden Gäste, die eigenes des Eurovision Song Contest nach Schonen gekommen sind? Rashad Shadiqov ist seit fünf Tagen in Malmö, eingeflogen von Norwegen über Kopenhagen und schließlich mit dem Zug nach Schweden. Der 24jährige war voriges Jahr in Baku einer der 2.000 Supporter, jener jungen Menschen, die ehrenamtlich Dienst für ihr Land taten. Gäste durch die Stadt führten, an und in der Halle des ESC Serviceleistungen erbrachten – und, so hörte ich es vor zwölf Monaten ausnahmslos, ihr Land repräsentierten, auf dass Europa es als freundlich kennenlerne.
Jahrgang 1957, Autor und Redakteur der taz, schreibt über den Eurovision Song Contest seit vielen Jahren. Er hat Bücher zum Thema geschrieben, seit 2005 und auch momentan bloggt er auch unter eurovision.de, der ESC-Plattform des in der Bundesrepublik federführenden Senders NDR/ARD, zum Event. Die politischen Begleit- wie Kehrseiten des ESC sind Thema dieser taz-Kolumne.
Shadiqov ging nach den eurovisionären Tagen von Baku zurück nach Stavanger, Norwegen, wo er seit vier Jahren lebt, Erdöltechnik studiert, Norwegisch und Englisch lernt und sich die Reise nach Malmö nicht nehmen lassen wollte: „Ich finde, der ESC ist ein Treffpunkt, um sich in Europa kennenzulernen. Ich mag diese Lieder, die vielen Länder, die vielen Versuche, sich zu gefallen.“ Aber er fühlt sich nicht wohl, sagt er. Warum? Ist die Stadt etwa nicht freundiich?
„Es ist dunkel, die Stadt ist nicht geschmückt wie bei uns vor einem Jahr, alles ist klein und eng.“ Die Veranstalter des ESC müssen sparen – sieht er das Problem nicht, dass die Kosten von Baku keiner mehr steigern wollte? „Am ESC darf nicht gespart werden.“ Er sagt das fast eine Idee zu aggressiv, als dass man seinen Befund als nur sachlich hinnehmen müsste. Also, was ist das Problem?
Er denkt eine kurze Weile nach, nippt an seiner Cola – und setzt zu einem sehr lauten Wutanfall an: „Wir in Aserbaidschan haben alles getan, damit es Europa gefällt. Wir waren nicht bemüht, freundlich zu sein, wir waren es von Herzen.“ Dem kann man nur schwer widersprechen, denn so war es tatsächlich. Shadiqov kommt jetzt, ohne dass es einer näheren Frage bedurft hätte, auf Politisches zu sprechen. „Okay, wir sind kein lupenreines demokratisches Land. Wir üben noch. Es sind Häuser geräumt worden für die Modernisierung – aber in anderen Städten wie in London wurde das auch getan, ohne dass es soviel Geschrei gegeben hat.“
Allmählich scheint mir, dass dieser Mann, aller Kritik am Regime in seiner Heimat zum Trotz, ein gekränktes Wesen ist. Der Clan der Alijews hin oder her, allem politisch stark zu Kritisierendem zum Trotz: Dieser Mann und wohl auch sehr viele, die vor einem Jahr in Baku als Supporter rührig waren, fühlt sich missachtet, weil die Leistung der Menschen, die aus dem ESC mehr als ein Propagandading der herrschenden Clans in Baku machten, nicht anerkannt worden sei.
Womit er, nur kurz trinkend und einige Züge aus der Zigarette ziehend, auf Malmö zu sprechen kommt. „Hier ist fast keiner wirklich freundlich. Wenn man sich orientieren will, kommt niemand einfach so und fragt, ob man helfen könne. Und nachts fühle ich mich nicht sicher. Es ist leer, die Straßen sind kaum beleuchtet.“ Und fügt an, dass Malmö in der europäischen Kriminalitätsstatistik den 18. Rang der allerschlimmsten Plätze einnehme – Straßenraub, Aggressivität im Miteinander, keine Höflichkeit, kühle Geschäftigkeit tagsüber von Menschen, die eilig wirken, aber keinen Blick für die anderen haben.
Herr Shadiqov, das ist hier Skandinavien, nicht gerade als menschliche Kuschelstube der Weltgemeinschaft bekannt, die Freundlichkeit eine protestantische – hier ist man für sich. Der Gast aus Stavanger, der den ESC schon vor zehn Jahren gut fand, als er in Aserbaidschan nicht mal live übertragen wurde, sagt: „Ich fühle mich hier vor allem von jungen Männern bedroht, Einwanderer, die sozial nur im Stil von Angriff und Aggressivität agieren können.“
Ich mag ihm seine Gefühle hier an Ort und Stelle nicht madig machen, zumal er in gewisser Weise recht haben könnte. In Malmö sieht man im Stadtbild mehr muslimische Frauen mit Kopftuch an einem Nachmittag als in Baku in zwei Wochen – das Islamding mit seinen schlicht-religiösen Selbstbehauptungsgesten in der Diaspora wie Schweden scheint prekärer als im säkularen Aserbaidschan.
Nein, der junge Mann, der „irgendwann nach dem Studium“ wieder in Baku arbeiten will, sagt sehr deprimiert: Malmö sei nicht schön, nicht gastfreundlich – und der Wert des Demokratischen erschließe sich ihm nicht, wenn das menschliche Klima knapp nur oberhalb der Frostgrenze angesiedelt sei. Nein, er freue sich auf Zuhause. Und wo liege das? In Stavanger? „Ich weiß es nicht. Das Beste an Malmö ist Kopenhagen. Da kommt man ihn einer halben Stunde hin und ist wieder unter Leuten, die halbwegs nett sind.“
Macht sich auf, dieser Rashid Shadiqov, und geht ins Hotel retour. Im Übrigen, darauf legt er Wert, heißt er nicht genau so wie hier in diesem Text: Er will nicht erkannt werden – von wem nicht, lässt er jedoch offen.
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