Kolumne Männer: Boys dont cry

Eltern würden ihre Tochter nie als "Memme" bezeichnen, ihren Sohn schon. Kein Wunder, dass aus kleinen Jungs Aisis werden.

Matthias Lohre ist Parlamentsredakteur der taz. Bild: privat

Ihren Schatz liebe sie ja schon sehr, erzählte mir vor kurzem eine kluge, gebildete Freundin. Wenn er nur nicht so anhänglich wäre. Bei Spaziergängen wolle er dauernd Hand in Hand mit ihr gehen, und mit seinen Problemen käme er auch ständig zu ihr. Ihr Liebster, sagte sie, sei mitunter schon eine Memme. Dabei ist Leon schon drei Jahre alt.

Zu den Dingen, die meine Lebensfreude dämpfen, gehören Momente wie dieser. Wenn ein Mensch mir etwas erzählt, das im krassen Missverhältnis zur Wirklichkeit steht, ohne dass er merkt, wie schlecht ihn das aussehen lässt. Zum Beispiel, wenn mir jemand klagt, er esse den ganzen Tag Diätschokolade und nehme trotzdem nicht ab.

In solchen Momenten schweige ich meist und denke: Selber schuld, Mausezähnchen. Woran aber ist die Mutter des dreijährigen Leon schuld? Ich erkläre es Ihnen. Am besten geht das, wenn ich das Gespräch mit der klugen, gebildeten Freundin, das ich damals nicht weiter geführt habe, an dieser Stelle nachhole. Und zwar so:

"Gute Freundin, dein Sohn ist erst seit rund tausend Tagen auf dieser Welt, und du findest es schon angebracht, ihn als Underperformer zu dissen? Ist es dir je in den Sinn gekommen, ein dreijähriges Mädchen als ,Memme' zu schmähen oder als ,Angsthasen'? Das macht niemand. Aber trotz vieler Jahrzehnte Emanzipation halten es selbst Akademiker-Mütter wie du es für angebracht, bei ihren Eltern gehörte Floskeln fraglos an die nächste Generation weiterzugeben. Wie aber soll dein Sohn lernen, dass Ängste menschlich sind, wenn selbst die eigene Mutter von ihm Härte erwartet?"

"Warum redest du denn so geschwollen, Matthias?"

"Ich führe einen ungeführten Dialog."

"Verstehe. Dein wievieltes Bier ist das?"

"Ist doch so. Einerseits sollen Männer durchsetzungsfähig im Job sein. Andererseits sollen sie aber auch Schwächen zugeben können und fähig sein zur Introspektion. Wo sollen sie sich Letzteres abschauen, wenn nicht bei ihren Eltern? Die aber setzen wie früher darauf, dass Jungs raufen sollen. Wenn sie das nicht tun, sind sie Memmen. Und jetzt geh' nicht aufs Klo. Ich rede mit dir!"

"Ich dachte, das hier ist dein imaginärer Dialog. Da kannst du doch sicher machen, was du willst."

"Ach ja, gut. Bleib sitzen. Wo war ich? Genau: Du und dein Mann seid selber schuld, wenn ihr eines Tages aufwacht und merkt: ,Oh Gott, unser Sohn ist ein emotional zurückgebliebener Asi.'"

"So einfach ist das doch nicht. Umweltfaktoren, die Gene und so …"

"Du machst es dir aber sehr einfach."

"Du machst es dir einfach, Matthias! Übrigens: Hattest du als Kind nicht diese Monchichi-Puppe?"

"Ich weiß nicht, hüstel, wovon du sprichst."

"Doch, doch, sogar einen sogenannten ,James Bond-Monchichi'! Interessant: Du bist trotzdem ein Asi geworden. Und außerdem …"

An dieser Stelle breche ich das imaginäre Gespräch ab. Ich muss mir solche Beleidigungen nicht gefallen lassen. Ich bin ja keine Memme.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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