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Kolumne MännerDer Unhold

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Die Welt ist kompliziert. Deshalb differenzieren wir sogar beim Müll. Warum nicht auch beim Thema "Männer, Macht und Sex"?

E ine Jugend auf dem Land hat manche Nachteile. Die Auswahl an Flirtpartnern ist gering. Und wenn man ausgehen will, muss man manchmal in Discos, die "Flash" heißen oder "Bananas". Aber es gibt auch Vorteile: Der Besuch einer Feier der Freiwilligen Feuerwehr erweiterte mein Weltbild.

Zu später Stunde erörterten die rotbäckigen, volltrunkenen und uniformierten Nachwuchsthekenhelden das Thema Bordellbesuch. "Da haben wir's mal wieder", dachte ich im Gefühl meiner Gymnasiastenüberlegenheit: "So sind se, die Prolotypen." Einer der betrunkensten Feuerwehrleute erklärte: "Bevor ich inn Puff geh, nä, da geh ich mir lieber einma mitm Brotmesser unten dran lang."

Der Unbekannte lehrte mich, dass Denkfaulheit jeden jederzeit befallen kann; dass ich irritierenderweise sozialisiert worden bin, meinem Geschlecht erst mal alles zuzutrauen; und dass Brotmesser auf Feuerwehrfesten nichts zu suchen haben.

Bild: taz

MATTHIAS LOHRE ist Parlamentsredakteur der taz.

Diese Episode kam mir in den Sinn, als ich Artikel las zum Prozess gegen den ehemaligen IWF-Direktor. Kaum geht es ums Thema "Männer, Macht & Sex", lassen viele Medien alle Differenzierung fahren. In einem Meinungsbeitrag in dieser Zeitung mutmaßte eine Kulturwissenschaftlerin vergangene Woche: "Es könnte aber auch einfach so sein, dass Dominique Strauss-Kahn sich schlicht in die lange Riege mächtiger und berühmter Männer einreiht, die in den letzten Jahren durch bizarre Übergriffe auf weibliches Personal oder exzessive Inanspruchnahme der gehobenen Sexindustrie von sich reden [machten]: Israels Präsident Mosche Katzav, Arnold Schwarzenegger und TV-Star Charly Sheen fielen durch sexuelle Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen auf, Schwedens König Carl Gustav, Talkmaster Michel Friedman und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi als konsumfreudige Freier." Der Spiegel druckte in einer Titelgeschichte nebeneinander Fotos von Schwarzenegger, Berlusconi, Strauss-Kahn und Katzav.

In meinem Hinterhof stehen Tonnen für Papier, weißes Glas, grünes Glas, Bioabfälle, Verpackungen, Elektronikschrott und Restmüll. Mit dieser Differenzierung kommen die Bewohner gut klar. Und wenn doch mal was schiefgeht, hängt kurz darauf ein Zettel aus, der erläutert, dass komplette Hochbettgestelle leider nicht im Hausmüll entsorgt werden können. So einen Zettel wünsche ich mir auch für mediale Übersprungshandlungen. Der Aushang läse sich etwa so:

"Liebe Meinenden, bitte beachten Sie: Schwarzeneggers außereheliche Beziehung zu einer langjährigen Hausangestellten, mit der er ein Kind zeugte, das die Frau großzieht, gehört nicht in die Tonne ,Vergewaltigung', sondern ,Privates'. In die Tonne ,Vergewaltigung' gehört Katzav, den ein unabhängiges Gericht dieses Verbrechens schuldig gesprochen hat. Wenn Sie sich nicht sicher sind, wohin mit Strauss-Kahn, der der versuchten Vergewaltigung beschuldigt wird und seine Unschuld beteuert: Tun Sie einfach nichts, sofern Sie nichts zur Aufklärung des Falls beizutragen haben. Das vermeidet Müll.

Vielen Dank!

Ihre Freiwillige Feuerwehr

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.

1 Kommentar

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  • C
    Conrado

    Jaja, da ist er wieder, der Herr Lohre. Ich liebe diese Kolumne! Als Mann. Aber auch als an stilistischem Interessierter Leser. Der Artikel ist eine schoene Ringkomposition mit auffallend starkem Ende. Differenzierung tut Not in vielen Lebensbereichen, aber besonders bei "Gender-Fragen". Und doch ist die Verallgemeinerung eine so grosse Versuchung: Maennern wird tatsaechlich Alles zugetraut, womit vor allem Negatives gemeint ist. Frauen wird ebenfalls Alles zugetraut, womit vor allem Positives gemeint ist. Deckt sich das mit unserer alltaeglichen, differenzierten Lebenswirklichkeit?