piwik no script img

Kolumne MännerHair

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Moden bestimmen, was als männlich gilt. Verpassen sie nicht die neuesten Trends.

S echzig Mark machten mich zum Mann. Die Initiation war mir etwas peinlich. Ziemlich geschäftsmäßig war es, als ich der Frau erklärte, was ich gern hätte. Männer brauchen so etwas von Zeit zu Zeit nun mal, sagte ich mir. Ist doch nichts dabei. Boys will be boys. Aber trotzdem war ich irgendwie beschämt, als ich mein Gerät schließlich auspackte, es anblickte und dachte: Das ist also mein erster Barttrimmer.

Seither trage ich einen Drei- bis Fünftagebart: alle paar Tage mechanisch in Form gebracht, weder mit einem Vollbart zu verwechseln noch mit einer vergessenen Rasur. Nun mögen Sie ironisch ausrufen: "Hach, wie interessant! Na, und in Afrika ist Muttertag!" Aber unterschätzen Sie nicht die Macht der visuellen Codes. Bärte formen nicht nur Gesichter, sondern auch unser gesellschaftliches Bild von einem Mann.

Männer und Frauen nähern sich einander in Rechten und Pflichten immer stärker an: Bei beiden Geschlechtern wächst der Wunsch nach gemeinsamer Kindererziehung. Frauen fordern zu Recht dieselbe Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen. Und Anke Engelke könnte Thomas Gottschalk beerben. Aber ohne Differenzen zwischen den Geschlechtern, das dämmert vielen, wird das Leben verdammt öde. Damit sind wir bei der Geschichte mit Bart.

Bild: taz

Matthias Lohre ist Parlamentsredakteur der taz.

Seit einigen Jahren tragen viele Männer, die sich für modisch halten, wieder Gesichtsbehaarung. Diese ist zwar so überflüssig wie das Einrad oder Lady Gagas Musik, aber gesellschaftlich akzeptiert. Denn hier geht es um Symbole: Nur Männer können sich einen Bart wachsen lassen. Und jetzt erwarten Sie bitte keinen plumpen Witz über Damenbärte. Das hat Madonnas Tochter Lourdes nicht verdient.

Die Sehnsucht nach Zeichen des Maskulinen hat bizarre Folgen. In TriBeCa, das ist das Berlin-Prenzlauer Berg von New York, bietet eine Firma Designeräxte an. Das Modell "Earle Grey" mit Holzgriff in graubrauner, blauer und gelber Bemalung kostet 350 Dollar. Ein angesagtes Accessoire für blasse, dünne Grafikdesigner mit übergroßen Brillen, offen getragenen Holzfällerhemden und Shirts mit tiefem V-Ausschnitt. Vielleicht gilt ja, in einem Land mit fast so vielen privaten Schusswaffen wie Einwohnern, das Axt-Tragen gar als Zeichen von Friedfertigkeit.

Noch ein Beispiel: Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts galt Rosa in gehobenen Kreisen als Farbton für männliche Babys. Als "kleines Rot" assoziierte man es mit Leidenschaft, Blut, Kampf und Eros. Blau hingegen gilt in der christlichen Tradition als Farbe Marias. Was sagt das über die neuen Polizeiuniformen?

Die Sehnsucht nach Geschlechtszugehörigkeit ist meiner Meinung nach für die westliche Welt im frühen 21. Jahrhundert das, was der Nationalismus fürs Europa der Kleinstaaten des 19. Jahrhunderts war: eine Gemeinschaft stiftende Erzählung in turbulenter Zeit. Der Unsinn solcher Codes befreit uns aber nicht von ihnen. Wir brauchen sie zur Orientierung. Warum denken wir uns nicht einfach neue aus? Wie gern lebte ich in einer Welt, in der als extrem männlich gilt, zu gähnen. Vielleicht versuche ich es auch mal mit einem Drei-Tage-Nasenhaar-Bart.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.

13 Kommentare

 / 
  • Z
    Zitrone

    @tigerlilly

     

     

    Wenn denn eine Welt klein ist, dann scheint es Ihre zu sein, sie wollen die Realität, vielleicht aus eigener Unsportlichkeit, nicht wahrhaben.

     

    Die Rede ist nach meinen Masstäben nicht von halbherzigen Hobbysportlern, sondern wirklich athletischen Menschen, die sich noch so intensiv bewegen, wie es uns eigentlich genetisch geboten ist. Doch viele Menschen sind so degeneriert, dass ihnen etwa ein einzelner absolvierter Marathon und die paar Trainingsläufe o.a. schon als Lebenshöchstleistung vorkommen. Also schauen sie sich, sofern sie keinen persönlichen Zugang haben, mal Hochleistungssportler im TV an, max. ein Bruchteil, kaum relevant, hat und benötigt einen Bart, um männlich auszuschauen. Das ist die Realität, an der sie selbst mit verzerrter Wahrnehmung nicht vorbeikommen. Aber vielleicht versuchen Sie es selbst erstmal mit einem relevanten Sportpensum, um hier mitreden zu können. ;-)

  • T
    tigerlilly

    @Zitrone

    danke für den hinweis! tanzen ist auch ein sport, oder? wie ist es mit golf, squash, bowling, dart, billiard - machen nur "knackige Männer"?

     

    wenn sie sich gut fühlen in ihrer kleinen welt der schubladen und kästchen - viel spaß noch! aber bitte lassen sie anderen doch eine breitere, farbigere perspektive auf leben und menschen. sorry, aber mir gehen leute wie sie, die sich an jedes noch so flaue vorurteil unreflektiert klammern müssen echt aufn keks.

  • Z
    Zitrone

    @tigerlilly

     

    Mit zumindest ein klein wenig Eigenleistung würden auch Sie unsportliche Menschen erkennen. 50kg Übergewicht ist zumeist sicher schon ein sehr gutes Indiz, sehr schmale untrainierte Schultern ebenfalls, ebenso aufgeschwemmte und unkantige Gesichtskonturen mit Bart. ;-) Denn ein pummeliges Gesicht wirkt ohne Bart natürlich noch pummeliger und unmännlicher, da setzt so ein Bart schon ein kleines Männlichkeitszeichen. Knackige Männer brauchen solche Symbole jedoch nicht, sie überzeugen schon aus sich heraus. ;-)

  • T
    tigerlilly

    @samuel

    "Nur heute lassen sich meist die besonders Unmännlichen oder die Scheinsportlichen ihren Bart auch konstant stehen, um über dieses normale Männlichkeitssymbol auch zumindest ein wenig als solcher erkannt zu werden"

     

    ultraplatteste behauptung sondergleichen. belege bitte!

    woran erkennen sie denn "scheinsportliche"? an ihren bärten? schmalen schultern? 50 kg übergewicht?

     

    o gott, schon wieder ein text der schubladendenken auf vorschulniveau offenbar begünstigt.

  • S
    Samuel

    Lauda, da verstehst Du das Thema nicht. Es geht nicht um das Können, sondern das Tun. Bei jedem Mann wachsen Barthaare. Nur heute lassen sich meist die besonders Unmännlichen oder die Scheinsportlichen ihren Bart auch konstant stehen, um über dieses normale Männlichkeitssymbol auch zumindest ein wenig als solcher erkannt zu werden und nicht als biertrinkender, schweinefleischfressnder Couchpotato. Hochleistungssporler hingegen werden schon aufgrund ihres attraktiven schlanken, knackigen, männlichen Körpers erkannt, ist mir zumindest angenehmer. ;-)

  • L
    Lauda

    Ein scheinbares Mannsymbol für Unmännliche/ Unathletische. ??

     

    Häh? Das musst du mal Mutter Natur erklären, ich kapiere es nämlich überhaupt nicht. Warum lassen sich Männer Bärte wachsen? Weil sie es können, yeah.

    Wer das nicht kann, ist meistens auch (noch) kein richtiger Mann, lautet jedenfalls das Klischee. Hat aber auch irgendwie etwas mit Vererbung zu tun.

  • J
    Johannes

    Die meisten Hochleistungssportler und Triathleten die ich kenne, haben keinen Bart. Das liegt schlicht daran, dass die eigene männliche Ausstrahlung genügt. Ein Bart um von einem Bierbauch, unreiner Haut o.a. abzulenken ist da unnötig.

  • V
    vic

    Irgendwann in meiner Jugend- und die ist die lange her- ist mir ein Oberlippenbart gewachsen. Seitdem ist der da.

    Und ob der uncool, out oder sonstwas ist, ist mir scheißegal.

  • FN
    Floda Nashir

    Und schon wieder sucht der Matze nach einer Gemeinschaft, die ihn aufnimmt und ihm einen Platz zuweist. Warum nur?

     

    Lila Kapuzenpullover, knallbunte Turnschuhe, langhenkeligen Stoffeinkaufsbeutel und einen sommerlichen Schal haste auch schon?

  • HM
    hairy monster

    bärte kratzen. deswegen sind sie nichts für die/den liebste/n mit empfindlicher haut!

     

    @Johannes

    doofes vorurteil. soll auch männer geben, die einen bart tragen, weil sie schlicht keinen bock haben sich zu rasieren. laufen ja nicht alle träger wie gestutzte ziegenböcke rum.

  • A
    Anna

    Johannes,

    Bärte tragen auch oft Männer, in deren Gesicht das einfach besser aussieht als glatte Haut (jedenfalls nach Empfinden der Frau, auf deren Meinung sie Wert legen).

    Soll's ja geben: Frauen, die an Männern manche Dinge, die nur Männer (bzw Menschen mit entsprechendem Hormonhaushalt) haben, attraktiv finden.

     

    Abgesehen davon wüsste ich auch gern, was genau athletisch und genuin männlich daran sein soll, als Mann seine natürliche Gesichtsbehaarung zu eliminieren.

  • S
    Steffi

    Einräder SIND nicht überflüssig!

  • J
    Johannes

    Bärte tragen die, die sich danach sehnen, durch Symbole wie ein Mann zu wirken, da sie es zumeist durch die eigene normale Erscheiung nicht können. Ein scheinbares Mannsymbol für Unmännliche/ Unathletische.