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Kolumne MännerCamouflage

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Vom Jungen reifte ich zum Mann. Meine Schulfreunde wissen, dass diese Behauptung Unsinn ist – denn fast alles, was Menschen tun, ist Maskerade.

E s wird scheußlich werden. Unsere Gespräche werden sich um die ewig gleichen Themen drehen. Wir werden zu viel trinken, einander bizarre Beleidigungen an den Kopf werfen und dieselben, schon lange nicht mehr lustigen Witze reißen. Nach ein paar Tagen wird alles enden in Erschöpfung und Überdruss. Ich freue mich wirklich sehr auf meine beiden Schulfreunde.

Meine Schulzeit liegt, obwohl man mir das nicht ansieht, mehr als eineinhalb Jahrzehnte zurück. Wir zählten zu den letzten bemitleidenswerten Abijahrgängen, die ihre Klausuren ohne Hilfe von Handys schreiben mussten. Und zu den letzten beneidenswerten Jahrgängen, deren Unordnung und frühes Leid nicht durch Handykameras verewigt wurde. Nicht SchülerVZ und Facebook, sondern allein meine Schulfreunde wissen, wie ich als 15-Jähriger in der Dorfdisko "Schaukelpferd" tanzte (in der Szene "Gaul" genannt), und das ist sehr beruhigend.

Die beiden Schulfreunde, die mich besuchen werden, sind von seriösen Herren kaum zu unterscheiden. Männer mit Karrieren, Dienstreisen und Geheimratsecken. Doch darunter sind wir bloß drei Jungs, die irgendwie versuchen, uns zurechtzufinden: im Irrsinn des Lebens im Allgemeinen und dem des Mannseins im Besonderen. Schließlich kennen wir einander, seit wir zehn Jahre alt waren.

Wir erlebten mit, wie jeder von uns sich auf seine Art inszenierte, sich ausprobierte: wie wir uns ein erstes, ungelenkes Selbstverständnis als Mann bastelten. Wie jeder von uns beim Versuch scheiterte, die Hübsche aus der Stufe zu küssen - und danach die weniger Hübsche. Und wir waren dabei, als der eine es für testwürdig erachtete, Konversationen mit gleichaltrigen Mädchen zu beginnen mit dem Lothar-Matthäus-Zitat "Unser Schwarzer hat so'n Langen". Es geht ihm gut.

Wir haben beim Blick auf die Mühen der anderen gelernt: Fast alles, was Menschen tun, ist Maskerade. Anders als unter Männern verbreitet, gibt es zwischen uns weder Konkurrenz noch Imponiergehabe. Deshalb sind Treffen mit meinen Schulfreunden Erholung: eine Ausgrenzung der Kampfzone. Als wir gemeinsam in Urlaub flogen, lautete unser Motto: "Lass deine gute Laune zu Hause." Selten habe ich mich mehr amüsiert.

Bild: privat
MATTHIAS LOHRE

ist Parlamentsredakteur der taz.

Auch heute noch, so hoffe ich, sind wir uns wortlos im Klaren darüber, dass wir stets nur Rollen spielen. Wenn meine alten auf neuere Freunde treffen, dann möchte ich glauben, dass ihr Blick mir sagen soll: "Aha, du versuchst es also mit dieser ,Seriöser Journalist mit vielen Interessen, der keine Furz- und Fickifickiwitze macht'-Nummer. Na, viel Glück."

Letztlich haben alle Menschen eine Sehnsucht gemeinsam. Sie möchten auf ihre Frage "Weißt du noch, als wir damals …?" zur Antwort bekommen: "Ja, das weiß ich noch." Sie wollen Zeugen ihres Lebens. Die beiden Schulfreunde besuchen mich übrigens anlässlich einer Party. Sie werden dabei auf Leute treffen, die ihnen Fragen stellen könnten wie: "Weißt du noch, was Matthias mit 15 so gemacht hat?" Hoffentlich werden sie dann antworten: "Nein, das weiß ich nicht mehr."

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

2 Kommentare

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  • Z
    Zack

    Frauen sind auch nicht anders, sofern sie sich ihrer gesellschaftlichen Rollenspiele bewusst sind.

  • H
    hto

    Für diesen (arroganten / heuchlerischen) Blödsinn ein passendes Zitat:

     

    Nicht Mangel an Geist, sondern ein Geist*, der sich ununterbrochen selbst gegenwärtig ist, eine Ausgeglichenheit, gegen die nichts und niemand ankommt. Die Menschen reden, die Karawane zieht vorüber: Die Dummheit erkennt man an jenem ruhigen Fortschreiten eines Wesens, das Worte von aussen weder ablenken noch berühren können. Sie ist nicht das Gegenteil der Intelligenz, sondern jene Form der Intellektualität, die alles auf ihr eigenes Maß zurechtstutzt und jeden Anfang in einem vertrauten Vorgang auflöst. Der Dummheit ist nichts menschliches jemals fremd; die macht - über die Lächerlichkeit hinaus - ihre unerschütterliche Kraft und ihre mögliche Grausamkeit aus. (Alain Finkielkraut) *Zeitgeist / Bewußtseinsbetäubung