Kolumne Männer: Der unglaubliche Hulk
Penisse schützten früher vor Dieben und Unbill. Heute brauchen sie selbst Hilfe.
E in Penis ist wie Herpes. Die Hälfte der Menschheit hat so was, trotzdem schämen sich ihre Träger dafür und tun alles, um ihn zu verbergen. Das ist nicht schön, aber in Teilen nachvollziehbar. Welcher Mann möchte seine empfindlichste Körperregion schon Verletzungsgefahren aussetzen, wenn ihm nach Springreiten, Turmspringen oder Grillen ist? Doch steckt mehr hinter der Scham vor der Scham.
Auch ich, das gebe ich zu, habe einen Penis. Trotzdem bin ich bereit, über ihn und seine Kollegen mehr zu erfahren. Deshalb tippte ich in die Suchmaske des Archivs dieser Zeitung das Wort "Penis". Die ersten vier Suchtreffer nach Aktualität: Eine Frau in Bangladesch schneidet einem Mann den Penis ab und bringt ihn zum Beweis einer versuchten Vergewaltigung auf die Polizeiwache. Ein ehemaliger Schüler der Odenwaldschule erzählt vom sexuellen Missbrauch durch einen Erzieher. In einer Rezension von Charlotte Roches neuem Buch wird darauf hingewiesen, wie explizit einst Alice Schwarzer beschrieb, welche Unlust ein Penis beim Eindringen in die Vagina verursache. Und in New York erinnert der Verteidiger der von Dominique Strauss-Kahn bedrängten Hotelangestellten daran, dass das Geschlechtsorgan des damaligen IWF-Chefs "zweimal gewaltsam Kontakt mit dem Mund des Opfers" gehabt habe. Der Penis ist wie Gaddafi. Beide haben eine miserable Presse.
Warum ist das so? Nun ließe sich entgegnen, der Nachrichtenwert von Penissen, die wenig mehr tun, als zu baumeln, sei eher gering. Ich bin keiner, der auf eine selbst geschaffene Steilvorlage entgegnet, die meisten Brüste täten den lieben langen Tag doch auch nicht mehr. Das ist unter meinem Niveau. Aber ich bin überrascht vom schlechten Image des Penisses. Denn es war mal anders.
Matthias Lohre ist Parlamentsredakteur der taz.
In der griechischen und römischen Antike trugen Kinder zum Schutz goldene Ringe und Anhänger in Form von erigierten Gliedern. In vielen Gärten stand eine Figur des Gottes Priapos, bei den Römern auch Mutunus Tutunus genannt. Die Skulpturen bestanden aus einem überdimensionalen Penis mit einem Mann hintendran. Sie dienten nicht nur als Fruchtbarkeitssymbol und magischer Schutz vor Dieben, sondern waren auch nützlich als Vogelscheuche.
Die sexuelle Revolution war nicht besser als andere Umstürze. Auch sie brauchte ihren Bösen, den es zu stürzen galt. Da bot sich das männliche Geschlechtsorgan an: als Zeichen patriarchalischer Unterdrückung und sexueller Ausbeutung. Darin steckte viel Wahres. Aber Penisse sind nicht besser oder schlechter als ihre Besitzer. Wenn sich Männer ändern können, dann sollte es auch das Bild vom Penis.
Doch das bleibt aus. Stattdessen haben viele Männer die Angst vor der eigenen Sexualität verinnerlicht. Ganz so, als ähnelten sie dem stets im falschen Moment gefährlich sich aufplusternden Unglaublichen Hulk - nur nicht am ganzen Körper. Diese Selbstverstümmelung hat grässliche Folgen, auch für Frauen. Erschüttert berichtete mir jüngst eine Freundin von der Anmache eines Mannes. Der hatte sie gefragt: "Magst schmusen? Mir is egal."
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