piwik no script img

Kolumne MännerVerblendung

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Männer müssen sich ab Mitte 30 rechtfertigen, warum sie keine Kinder haben. Weshalb nicht umgekehrt Väter für ihre Kinder?

S inglemänner brauchen Geduld. Sie hören spätestens ab Mitte 30 von jungen Eltern Sätze wie: "Ich verstehe gar nicht, was bei dir schiefläuft. Du bist doch so ein netter Typ." Zugegeben, das mit dem netten Typ höre ich seltener. Aber mir geht es um etwas anderes: um die Unterstellung, mit Männern stimme etwas nicht, wenn sie ab etwa Mitte 30 keine Anstalten machen, sich möglichst bald fortzupflanzen.

Erstaunlicherweise wird ein Mann fast nie gefragt, warum er Vater geworden ist. Es sei denn, er ist selbst noch ein halbes Kind oder heißt Hugh Grant. Vaterschaft gilt ab einem gewissen Alter als Wert an sich, als natürliche Phase im Leben eines Mannes. Aber stellen Sie sich bitte mal folgende Frage: Wären Sie gern das Kind Ihres Chefs? Oder Ihres alten Physiklehrers? Oder das von Hugh Grant? Dennoch gilt Vaterschaft nicht als erklärungsbedürftig, anders als Nichtvaterschaft.

Bei vielen Vätern wären Sätze angebracht, die sonst kinderlosen Männern gelten: "Was ist denn da schiefgelaufen?" "Ich verstehe das nicht, Du bist doch so nett." Oder "Ich hoffe, du findest eines Tages doch noch die Richtige." Denn viele Männer, die ein Kind zeugen, sind nicht weniger bindungsunfähig oder -willig als Nichtväter. Sie schlittern aber in die Vaterschaft, meist aus einer Mischung aus Ratlosigkeit und Passivität: Sie sind doch schon länger mit ihrer Freundin zusammen, diese will nun mal ein Kind, und das ist ja auch verständlich in dem Alter.

Bild: taz
MATTHIAS LOHRE

ist Redakteur der taz.

Das ist keine Entscheidung fürs Vatersein, sondern eine Mischung aus Ratlosigkeit und Lethargie. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Auch unter männlichen Singles sind jede Menge ratlose und lethargische Exemplare. Aber weil sich diese Kerle nicht fortpflanzen, ersparen sie Generationen von Nichtgeborenen jede Menge Therapiesitzungen mit dem Thema "Mein Papa hat sich nie für mich interessiert".

Wenige Männer wissen, was es heißt, ein liebevoller, guter Vater zu sein. Zumeist weil ihre Väter es ihnen nicht vorgelebt haben. Manche werden deshalb aus Überforderung aggressiv, andere ziehen sich auf die vertraute Ernährerrolle zurück, wieder andere imitieren ihre Partnerin und werden zu "Müttern ohne Brust", die auf dem Spielplatz rufen: "Bitte nicht mit der Schippe den Leon hauen, ja, Lukas? Ich möchte das nicht so." Ihnen gemein ist, dass ihre Kinder nicht lernen können, sie auf liebevolle Art zu respektieren.

Aber es gibt Hoffnung. Nimmt man den Gradmesser der Jugendkultur, dann geht es aufwärts mit dem Ansehen der Väter bei ihren Kindern: Sie sind es mittlerweile wert, demonstrativ herabgesetzt zu werden. Es gibt nicht mehr nur "Deine Mudda …"-Witze, in denen es darum geht, die zentrale Bezugsperson des Gegenübers auf möglichst bizarre Art zu schmähen. Sondern auch "Dein Vadda …".

Wer so beleidigt, dem muss der Vater ebenfalls als innig geliebtes Wesen erscheinen. Nur dann ist die Beschimpfung verletzend genug. Vielleicht ist es daher eine Folge gleichberechtigter Kindererziehung, wenn junge Menschen heute Sprüche sagen wie: "Dein Vadda geht in den Puff, um deine Mudda zu besuchen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

17 Kommentare

 / 
  • J
    Jiri

    @ PeterWolf und Jakob

     

    Wenn man einen Funken Verstand hat, würde man in seiner Umwelt mitkriegen, dass es nicht sinnvoll ist für Kinder, Eltern zu haben, die keine Kinder kriegen wollten oder sich nicht bewusst gemacht haben, ob Sie gerne Kinder erziehen.

  • P
    PeterWolf

    @Antje:

     

    „wie nennt man denn bitt ihren komplex?“

     

    Liebe Antje, falls das Zitat auf meinen Beitrag bezogen sein sollte, einfach mal folgenden Wikibeitrag lesen:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Schienensuizid

    Im Zug sitzen u.a. Eltern, die wegen so was mindestens zwei Stunden verspätet ihre Kinder sehen.

    Ich behaupte hier mal ganz dreist: Diese Selbstmörder sind keine überzeugten Eltern, sondern evolutionäre Sackgassen, die sich aus purem Neid auf vorgenannte nicht einfach aufhängen oder vergiften, sondern diesen noch maximal möglichen Ärger bereiten wollen.

    Wer sich nur im Auto fortbewegt, kennt diese Spezies eben auch nur als Geisterfahrer aus dem Radio.

     

    Viele Grüße

  • P
    PeterWolf

    @DNA

     

    Zölibat ist Mord an ungezeugtem Leben!

  • A
    atalaya

    Kann nur von mir reden. Und demnach hat der Autor Recht: ich habe mich "passiv" zur Zeugung unserer drei Kinder überzeugen lassen. Habe für diese dann meine sogenannte Karriere hintangestellt, bis die Mutter sie gemacht hatte. Ich habe es genossen, meinen Kindern nah zu sein und den Haushalt zu schmeißen. Das Gelaber der übersorgenden Väter und Mütter ging mir damals schon auf den Sack.

     

    Aber genauso wie frau mir die Kinder "suggerierte", kam danach die Suggestion des Berufs. Den hätte ich mir durchaus gerne geschenkt. Ging aber nicht, weil frau ja auch ihre Vorstellungen von mann hat und weil mann vielleicht auch irgendwann spürt, dass er etwas tun sollte im Leben, das "der Erwähnung wert" ist...

     

    So fügte sich eins zum anderen. Nun sind wir beide "erfolgreich". Toll! Naja, Geld ist nicht Mangelware, das kann man dem ganzen zugute halten, aber letztlich, da die Kinder nun schon ziemlich bis formell ganz erwachsen sind, trauere ich der Zeit nach, als ich noch für sie hätte dasein können und der Beruf dann allmählich und passiv seinen untriftigen Beitrag von mir forderte. Klar, ist nicht zeitgeistig, aber darauf habe ich schon immer "defäziert".

  • S
    Seelenverwandt

    Perfekt!

    Endlich mal in Worte gefasst, was in unserer tabuisierten deutschen Gesellschaft nicht erlaubt scheint und als not political correct gewertet wird.

     

    Vielen Dank!

  • H
    Herz

    Bitte mehr Vielfalt!

    Es gibt nicht DAS zentrale Thema im Leben. Und kinderlose Menschen mit Selbstmördern zu vergleichen ist ja purer Wahnsinn. Wer sowas behauptet, ist nicht reif für Kinder.

  • G
    GorillaImNebel

    @heidi

    Geht völlig in Ordnung, ihre implizite Unterstellung, Gründe für Kinderlosigkeit sind v.a. Karrieregeilheit und der Unwille/dieUnfähigkei Fürsorgeleistung und -verantwortung zu erbringen bzw. zu übernehmen.

     

    Ihrer ist einer von einigen unreflektierten Beiträgen hier, die zu keinerlei Erkenntnis beitragen, sondern nur verallgemeinern, relativieren und Vorurteile bedienen.

     

    _____________________________

     

    Ich habe vor jedem Menschen, der sich für die Belange von "Wildfremden" einsetzt mehr Respekt, als vor den "aufopferungswilligsten" Eltern. Auch vor Adoptierenden ziehe ich den Hut. Sie meistern eine wirklich anspruchsvolle Herausforderung und machen diese Welt zu einer besseren (Ausnahmen bestätigen die Regel, ich meine nicht Adoptionen über profitorientierte Vermittlungsagenturen im Ausland).

     

    Wie sehr doch viele ihrer Eitelkeit, gespeist aus dem plumpem biologischem Faktum der Elternschaft, erlegen sind, ist dank der Kolumne hier schön zu besichtigen. Zum Fremdschämen.

  • D
    DNA

    Danke für die Kolumne. An den Blut-und-Boden-Kommentaren von "Jakob" und "PeterWolf" wird ersichtlich, wie weit wir es Deutschland mit der Überwindung einer gewissen Geisteshaltung gebracht haben. .

  • S
    seeelefant
    Kinderkriegen ist DAS zentrale Ziel des Lebens. Punkt. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es uns alle nicht.

     

    und wenn wir alle weiter so kinder bekommen würden, wie unsere vorfahren, DANN gäbs uns menschen bald nicht mehr.

  • H
    heidi

    Es ist kein schöner Artikel, sondern ein wehleidiges Gewinsel! In unserer GEsellschaft muss sich "jeder" irgendwie rechtfertigen.(Oder er hat genug Selbstbewusstsein und lässt es halt einfach): Der Harz IV Empfänger, warum er dem Staat auf der Tasche liegt, der Politker, warum er den Ansprüchen seines Amtes nicht gerecht würde, die Hausfrau, warum sie nicht arbeiten geht, der Arzt, warum er seine Praxis da errichtete, wo er damit rechnen kann ordentlich Kohle zu machen und nicht auf dem Land, wo Ärzte fehlen, die für ein "Butterbrot" mitten in der Nacht zum zahnenden Säugling eilen, der Rechtsanwalt, warum er seine Klientel nicht nach wertmoralischen Massstäben aussucht, der Mann, warum er kein Mann mehr ist, die Frau, warum sie keine Frau mehr ist, die Kinder, warum sie Kinder sind oder sein wollen - ok, ich übertreibe etwas - aber letztendlich: jeder muss sich an zur Zeit geltenden Maßstäben messen lassen - das ist nichts Besonderes.

    Dem allen gemeinsam ist, dass jeder nur auf sein Wohl schaut und schauen will und gesamtgesellschaftliche Verantwortung nicht mehr gefragt ist - anscheinend und angeblich.

    Wahr ist, dass Elternschaft eigentlich nie aus gesamtges. Verantwortung heraus geschieht - ich jedenfalls kenne niemanden, der sein Kind aus rentenrechtlichen Gründen heraus gezeugt hätte - und der Verstand dabei auch nicht immer die grosse Rolle spielt - insoweit gebe ich Ihnen recht - wahr ist aber auch, dass der Verwirklichungstrip von Mann UND Frau - von der Art und Weise wie hoch Karriere und Egoismus heute im Kurs stehen - enorm unterstützt wird - und dieses das Kinderkriegen und Haben (was ein bedeutsames Maß an Aufopferung mit sich brächte)Wollen nicht mit einschliesst.

    Insofern sehe ich mit Recht alle Nachfragen: Wer sich bewusst entscheidet kann auch nachgefragt werden - warum denn nicht? Wer zu dem steht, was er tut oder eben auch nicht tut, kann antworten. Das ist selbstverständlich und tut überhaupt nicht weh.

    Oder?

  • A
    Antje

    wie nennt man denn bitt ihren komplex?

  • P
    PeterWolf

    "Offensichtlich fehlt uns Kinderlosen die Daseinsberechtigung in der deutschen Gesellschaft. Seltsam!"

     

    Ne, so seltsam ist das nicht.

    Hat was mit dem sogenannten "Generationenvertrag" zu tun.

    (wer zahlt deine Rente und wer pflegt dich später)

     

    Andere philosophische Begründungen für die Erzeugung und Aufzucht von Nachwuchs lassen wir mal an dieser Stelle.

     

    P.S. Wer sein Leben für so sinnlos hält, um es (ohne Not) nicht weiterzugeben, darf gerne seinem sinnlosen Leben ein Ende bereiten, aber bitte nicht vor einem Personenzug!

  • I
    imwandel

    Als Frau ist der Druck doppelt und dreifach zu spüren. Ja,auch ich gehöre zu den stigmatisierten Nicht-Mammis, die sich rechtfertigen darf. Das auch Männer sich mit Mitte dreißig für ihr kinderloses Leben erklären müssen, ist mir nicht so bewusst gewesen. Schließlich kann ein Mann auch noch mit siebzig Vater werden, so der Grundtenor in der Gesellschaft.

    Danke für die informative Kolumne.

  • A
    Anita

    Es sind deshalb "Mudder"-Witze, weil der Vater halt doch nie ganz sicher ist...

  • J
    Jakob

    Kinderkriegen ist DAS zentrale Ziel des Lebens. Punkt. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es uns alle nicht.

    Sich zu entscheiden, keine Kinder kriegen zu wollen ist damit genauso wie sich dazu zu entscheiden, Selbstmord zu begehen.

  • S
    Schriftsteller

    Gute Kolumne!

    Als Frau ohne Kinderwunsch ist der Druck von außen übrigens noch extremer. Man kommt sich teilweise echt wie schwer krank vor, weil man sich gegen das gängige, traditionelle Mutter, Vater, Kind-Gefüge entschieden hat. Offensichtlich fehlt uns Kinderlosen die Daseinsberechtigung in der deutschen Gesellschaft. Seltsam!

  • H
    HansimGlück

    Vielen Dank für diesen schönen Artikel.