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Kolumne MännerDeutschlandfunk unter der Dusche

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Auch Männer sterben ungern eines gewaltsamen Todes.

N eulich beim Duschen wäre ich fast ertrunken. Das hätte ich bedauert, sofern man seinen eigenen Tod bedauern kann. Denn obwohl ich ein Mann bin, ziehe ich an den meisten Tagen das Leben dem Totsein vor.

Ertrunken wäre ich beinahe, weil ich unter der Dusche den Deutschlandfunk hörte. Dieser triste Tagesbeginn verdeutlicht vielleicht, dass es Momente gibt, in denen ich dem Tode näher bin als dem Leben. Eine Sprecherin des grundseriösen Radiosenders berichtete von einem Prozess, in dem ein US-Marineinfanterist angeklagt war, 2005 in der irakischen Stadt Haditha 24 Menschen getötet zu haben.

Wiederholt betonte die Frau im Radio, bei dem Massaker seien "auch unbewaffnete Frauen und Kinder erschossen" worden. Da seufzte ich, richtete den Blick gen Himmel – und schluckte Wassermengen, mit denen sich in irakischen Gefängnissen sicher ausführliche Geständnisse erwirken lassen.

Bild: privat
MATTHIAS LOHRE

ist Parlamentskorrespondent der taz.

Die Deutschlandradio-Meldung basierte auf einem Bericht der Nachrichtenagentur dapd vom selben Tag. Darin heißt es: "Der Einsatz in Haditha, bei dem auch unbewaffnete Frauen und Kinder erschossen wurden, gilt als eine Schlüsselsituation im Irakkrieg. Danach wurden die Regeln für die Einsätze der US-Soldaten verschärft." Vermutlich wurde seither strikt darauf geachtet, nur noch unbewaffnete Männer zu erschießen.

Der Gedanke, dass auch Männer eher ungern eines gewaltsamen Todes sterben, scheint noch immer viele zu irritieren. Erst wenn bei einer Bluttat auch Frauen und Kinder ihr Leben verlieren, wirkt diese auf manche Beobachter ausreichend willkürlich, barbarisch und sinnlos. Der kluge Publizist Max Goldt schrieb schon vor Jahren vom kurzsichtigen Missverständnis, demzufolge permanent "die Kinder am meisten darunter leiden".

Dabei leidet jener am meisten unter Gewalt, der ihr am unmittelbarsten und schutzlosesten ausgeliefert ist. Das kann ein blondgelocktes, kulleräugiges Mädchen auf dem Dreirad sein, das später mal Ärztin werden wollte. Gegebenenfalls mag dies aber auch ein Mann sein: ein Zivilist, ein Soldat, sogar ein grimmiger, Zigarre rauchender, glatzköpfiger Hüne mit Tom-Selleck-Schnauzbart und "I fuck on the first date"-T-Shirt.

Die Organisation Iraq Body Count Project hat errechnet, wie viele Menschen infolge des Irakkriegs gestorben sind. Vom Invasionsbeginn im März 2003 bis zum März 2005 starben die meisten Personen. Der NGO zufolge waren in dieser Zeit unter den zivilen Toten 10 Prozent Kinder und knapp 9 Prozent Frauen. Und mehr als 81 Prozent Männer. Trotzdem mangelt es an Mitleid.

Das hat damit zu tun, dass Männer noch oft pauschal als Angehörige eines "Tätergeschlechts" betrachtet werden, sich gar mitunter selbst so sehen. Und mit den zähen Nachwirkungen eines soldatischen Männlichkeitsbilds: Männer haben sich zu freuen, im Kampf ihr Leben zu riskieren. Folglich sind sie selbst schuld, wenn sie es dort verlieren. Selbst als Zivilist.

Am Tag meiner Nahtoddusche sollten mir noch einige Menschen gehörig auf die Nerven gehen. Darunter waren auch unbewaffnete Frauen und Kinder.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

14 Kommentare

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  • RW
    Robert W.

    An Hrn.Lohre: Sie schreiben mir aus der Seele.

     

    @florian: es wurden da 14 unbewaffnete Männer und 10 unbewaffnete Frauen und Kinder getötet.

     

    an alle, die die "männliche Kriegslüsternheit" anprangern:

    Googelt z.B. mal nach dem "Orden der weissen Feder" (ach was, ich schicke gleich einen Link mit: http://de.wikipedia.org/wiki/Order_of_the_White_Feather).

    Männer sind quasi schon immer insbesondere auch für ihre Frauen in den Krieg gezogen!

  • CJ
    calamity jane

    und nächste woche bitte einen text über männliche kriegslüsternheit und waffengeilheit sowie ehre und vaterland.

  • J
    jnoll

    Schöner Artikel! Danke!

  • N
    NormalBürger

    Vielen Dank Herr Lohre, Sie sprechen mir aus der Seele. Bitte mehr davon......

  • R
    Rechtlos

    Vielen Dank für diese treffende Kolumne.

    Sie haben es erkannt- auch Männer sind Opfer im Krieg, und die im Zentrum der Gewalt sind die, die besonders betroffen sind. Die Prozentualen Anteile sind interessant und werden leider im Zeitungsalltag gerne verschwiegen, wenn immer wieder behauptet wird, Frauen und Kinder wären vom Krieg "besonders betroffen". Diese zweckgebundene Verlogenheit zur Erheischung medialer Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft muss irgendwann ans Tageslicht gezerrt werden, mir reichen 40 Jahre Feminismus, der schon mit einer Lüge begann.Die Anstandsbefreite AS behauptete doch tatsächlich entgegen jeder beweisbaren Tatsachen- öffentlich im Fernsehen- Frauen würden 5 Jahre früher sterben als Männer. Nun ist es umgekehrt-wo bleibt die Empörung dieser Lügnerin?

  • TE
    Tillmann Eichhorn

    Wenn die Männer so ungern eines gewaltsamen Todes sterben, dann sollen sie halt das Kriegführen bleiben lassen.

  • A
    anke

    Schön, Herr Lohre, dass Sie inzwischen wieder Luft bekommen! Wäre schade gewesen um Sie.

  • M
    Melanie

    Gähn...

  • SB
    Siegfried Bosch

    Sehr guter Artikel! Er könnte perfekt sein, wenn er erwähnt hätte, dass es nicht nur das soldatische Männerbild ist, dass zu solchen Meldungen führt. Auch dass aufgrund des Feminismus (oder genauer gesagt: aufgrund aller Strömungen des Feminismus, die unterscheiden sich hier überhaupt nicht) Frauen (und ein bisschen auch noch Kinder) ein Opfermonopol besitzen und dass Feminist(inn)en deshalb auch das soldatische Männerbild (selbstverständlich eher mit der Konnotation "Gewalttäter" als mit der Konnotation "Held") stützen (indem sie Frauengewalt und Gewalt an Männern systematisch ausblenden; siehe hierzu http://www.guardian.co.uk/society/2011/jul/17/the-rape-of-men), werden männliche Opfer ignoriert, beschämt, lächerlich gemacht, für die an ihnen begangenen Verbrechen verantwortlich gemacht und/oder ihr Leiden bagatellisiert (Hillary Clinton meinte einmal, dass Frauen die wahren Opfer jeden Krieges seien, weil sie über ihre toten männlichen Verwandten trauern müssten).

  • F
    florian

    Es stellt sich immer wieder heraus: Man kommt in Verwirrung, wenn man gewisse Grundüberzeugungen - etwa dass alle Menschen, namentlich Frau und Mann gleich sind (bei Kindern wird es schon schwieriger) und dass Krieg eine üble Sache ist - an jeder Stelle des Weltbezugs ohne weitere Reflexion zum Tragen bringt.

    Sicherlich: jedes Todesopfer eines Krieges ist eines zu viel, unabhängig von Alter, Geschlecht und Bewaffnung. Aber dessen ungeachtet ist die Differenzierung des moralischen Urteils, ob jemand einen Unbewaffneten (heute immer noch in der Regel Frauen und Kinder; aus Sicht des Kolumnisten vielleicht auch ungerecht? auch mit Blick auf die Kinder?) oder einen Bewaffneten erschießt, der ihn immerhin auch erschießen könnte, wird weiter richtig.

    Mit anderen Worten: Das Bekenntnis zur Gleichberechtigung und gegen den Krieg ist nicht die einzige und meist keine geeignete Grundlage moralischer Bewertung dessen, was im Krieg geschieht. Das zu bestreiten erscheint weniger kritisch, als moralisch etwas desorientiert.

  • J
    Jörn

    Der Autor spricht mir aus der Seele. Einen "Höhepunkt" der Auseinandersetzung bildete einen Kommentar nach den Kriegen im Balkan, bei denen das besondere Leid der Frauen betont wurde, weil viele durch den Krieg Witwen geworden sind.

    Scheinbar fortschrittliche Projekte gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen appelieren nicht nur an alte Klichees sondern stellen damit auch Gewalt an Jungen und Männer als weniger problematisch dar.

  • M
    Mastermason

    Der Satz: "Ich warte noch auf den Tag, an dem der Wickert im fernsehen sagt: "50 Tote, zum Glück nur Männer." wird Volker Pispers zugeschrieben und passt zu den Beobachtungen des Kolumnisten. Man hat bei solchen Meldungen den Eindruck, dass tote Männer nur dann genügend Nachrichtenwert bekommen, wenn das Unglück durch den Tod von Frauen und Kindern aufgewertet wird.

  • R
    robert

    schöner kurzer beitrag, der mir mal wieder aufzeigt, wie sehr ich selbst in diesem bild verhaftet bin.

    als eher pazifistischer mann

  • M
    marie

    Lese diese Kolumne immer wieder gerne! Vielen Dank!