Kolumne Männer: Easy Rider
Warum zeigt niemand Verständnis für den Mann mit der Dauererektion? Mein Lösungsvorschlag lautet: mehr Nachsicht mit den Macken der anderen.
A ls ich die Ankündigung für „Hart aber fair“ sah, wusste ich: Jetzt wird es erst schlechter, bevor es besser wird. „Ein Land im Dübel-Fieber“, hieß es da. „Was ist toll an einem Ort, wo Männer sich überschätzen und Beratung Glückssache ist? Wir vergleichen Preise, testen Blumenerde und Holz und erforschen, warum auch immer mehr Frauen sagen: Selbst ist der Mann.“ Wenn Frauen das Gleiche tun wie Männer, in diesem Fall handwerken, ist es also nicht dasselbe. Kerle überschätzen sich, Frauen ermächtigen sich.
Die Moderatorin Sonya Kraus („talk talk talk“) schwärmte vom Gefühl, die eigene Körperkraft durch technische Geräte zu vervielfachen. Täte dies ein Mann, gälte er als Trottel. Tut dies aber Sonya Kraus („Deutschlands lustigste Homevideos“) – nun ja, als Sonya Kraus (Sonya Kraus) abgestempelt zu werden, ist bestimmt auch nicht schön.
Apropos Sexappeal technischer Geräte. Fast zwei Jahre hatte der Kalifornier Henry Wolf nach eigener Aussage eine schmerzhafte Dauererektion. Schuld daran sei der Sitz auf seinem BMW-Motorrad gewesen, der sei falsch entworfen oder angebracht. Nun verklagt Wolf den amerikanischen Ableger des Konzerns. Nach einer vierstündigen Fahrt, behauptet er, habe er einen sogenannten Priapismus entwickelt. Wolfs Anwalt erklärt, sein Mandant habe seine Kleidung umschneidern müssen und emotional stark gelitten. Heute bekomme er gar keine Erektion mehr. Das berichtet die Nachrichtenagentur Courthouse News Service.
Ich lasse mir nur ungern eine Chance entgehen, billige Häme über Menschen zu gießen, die ein Martyrium durchlitten haben. Aber hier geht es nicht um Zuschauer von „Hart aber fair“-Sendungen. Witze über den Motorradständer zu machen, überlasse ich anderen. Süddeutsche.de titelte „Zu viel Freude am Fahren“. „Viagra oder Cialis sind gar nichts dagegen“, urteilte der Berliner Kurier. Und Autoblog.de empfahl BMW, sich in allen Punkten für schuldig zu erklären – zu Werbezwecken. Das Biker-Beispiel zeigt, woran es hapert im öffentlichen Umgang mit Männern: an Mitgefühl. Sie haben richtig gelesen.
Die Dauererektion hat, dem Kläger zufolge, zu seelischem Leid und Impotenz geführt. Dennoch zeigt keiner der Schreiber Verständnis. Stattdessen wärmen sie Klischees auf – wie Frank Plasberg. Die Stereotype lauten ungefähr so: „Männer empfinden Zuneigung für tote Dinge.“ „Männer denken immer an Sex.“ Und: „Männer jammern über Schmerzen.“ Zugleich finden es sehr viele Frauen unattraktiv, wenn ein Mann kein technisches Wissen besitzt, null Interesse an Sex hat oder ihnen wegen verschleppter Erkrankungen wegstirbt.
Das ist das Paradox: Männer sollen sich ändern, dürfen sich aber nicht infrage stellen. Sie sollen „neue Männer“ sein, aber die Attribute der „alten“ behalten. Männer sollen keine Probleme haben, sondern Lösungen. Mein Lösungsvorschlag lautet: mehr Nachsicht mit den Macken der anderen. Verstehen Sie mich recht: Damit meine ich nicht das Erdulden von Gockelgetue. Erwarten Sie bitte trotzdem keine Abschlusspointe über Frank Plasberg.
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