Kolumne Macht: Golden Boy?
Der Wahlkampf in den USA bleibt spannend. Und ja, Bernie Sanders ist weiterhin Außenseiter. Aber keineswegs chancenlos.
E s wärmt Hillary Clinton sicher das Herz, dass die Demokraten in Texas sie gut finden. Und die in Alabama. Und die in Mississippi. Das Problem besteht darin, dass all diese Sympathien ihr bei der US-Präsidentschaftswahl wenig nutzen werden.
Erfolge feiert die Favoritin der demokratischen Partei derzeit vor allem in Staaten, die wegen des Mehrheitswahlrechts sowieso an die rivalisierenden Republikaner gehen werden. In den traditionell demokratischen Staaten ist ihr Konkurrent Bernie Sanders überraschend erfolgreich, und in den besonders wichtigen „Swing States“, in denen mal die Demokraten und mal die Republikaner gewinnen, ist das Rennen zwischen Clinton und Sanders ziemlich offen.
Soll heißen: Ja, nach wie vor ist Sanders ein Außenseiter. Aber chancenlos ist er nicht. Das politische US-Magazin Current Affairs vertritt sogar die These: „Wenn die Demokraten sich nicht für Sanders entscheiden, wird eine Trump-Nominierung auch eine Trump-Präsidentschaft bedeuten.“ Umfragen bestätigen das. Fast überall, wo es überhaupt darauf ankommt, werden Sanders bessere Chancen gegen Donald Trump eingeräumt als Clinton.
Im Artikel von Current Affairs heißt es: „Die Entscheidung, Clinton gegen Trump antreten zu lassen, ist von einem ausschließlich pragmatischen Standpunkt aus verheerend und selbstmörderisch.“ Warum? Weil die Schwächen von Hillary Clinton ihrem Gegner Donald Trump in die Hände spielten. Trump werde gerne persönlich, und Clinton biete im Hinblick auf Hinblick auf Filz, Heuchelei und Glaubwürdigkeitsprobleme breite Angriffsflächen. Im Unterschied zu Sanders.
Mag sein, dass diese Analyse zu kurz greift. Noch immer spricht ja vieles dafür, dass Hillary Clinton die nächste Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten wird. Der bisherige Vorwahlkampf hat aber auch deutlich gemacht: Begeisterung löst Hillary Clinton nur selten aus. Sie erweckt keine Neugierde mehr, allzu lange hat man sie schon in allzu vielen Rollen gesehen. Sie gehört nicht zum Establishment – sie ist das Establishment.
Trump wird gerne persönlich
Für Bernard Sanders gilt das nicht. Der 74-Jährige kann jahrzehntelange Erfahrung in kommunalen Ämtern und als Mitglied des US-Kongresses vorweisen. Aber er hat konsequent so viele unpopuläre Positionen vertreten – die in Europa zum unspektakulären, mittleren Spektrum der Sozialdemokratie gehören würden, aber die USA sind nun einmal nicht Europa –, dass er nie an den Tisch der wirklich Mächtigen gebeten wurde.
Auch und gerade wegen dieser Standfestigkeit mag, nein: liebt ihn ein großer Teil der jüngeren Generation. Wäre das in Deutschland vorstellbar? Schwerlich. Sein Alter allein wäre Grund genug, ihn nicht als Hoffnungsträger sehen zu können.
Es ist einer der größten kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland – und einer der am seltensten erwähnten: Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, die den Jugendwahn erfunden zu haben scheinen, gibt es im Hinblick auf politische Ämter und Mandate keine Altersdiskriminierung. Das hat sich schon während des Wahlkampfs zwischen Barack Obama und dem damals 72-jährigen John McCain gezeigt. Was auch immer gegen den republikanischen Kandidaten vorgebracht wurde: Sein Alter spielte schlicht keine Rolle.
Dasselbe gilt jetzt für Bernie Sanders. Vielleicht liegt es daran, dass die Alten in den USA viel besser in die Gesamtgesellschaft integriert sind als bei uns – übrigens nicht immer aus erfreulichen Gründen.
Viel mehr Rentner sind dort gezwungen, bis ins hohe Alter einen Job auszuüben, wenn sie nicht unter der Brücke landen wollen. Andere, die Glücklicheren, sind mobiler als „unsere“ Alten: Sie reisen häufiger, ziehen öfter um, erleben mehr. Rentner, die nur noch sehnsüchtig auf Besuch warten, um dem endlich von besseren, vergangenen Zeiten und den eigenen Krankheiten zu erzählen, scheint es in den USA seltener zu geben als bei uns.
Gut für Bernie Sanders. Er ist noch nicht abgeschrieben – in keiner Hinsicht. Es bleibt spannend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr