Kolumne Macht: In Syrien ist alles völlig in Ordnung
Papiere von Flüchtlingen sind gefälscht? Dann versuchen Sie doch mal, Dokumente in einem Bürgerkriegsland zu organisieren.
D er 30-jährige syrische Ingenieur, der hier Ashraf genannt werden soll, ist ein gutes Beispiel dafür, was es bedeuten kann, Glück im Unglück zu haben. Das Grauen des Bürgerkrieges blieb ihm erspart, und er ist dennoch kein Flüchtling: Seit sieben Jahren hat er ein Arbeitsvisum für Ägypten. Ganz legal wohnt er in Kairo, dort hat er sich vor einiger Zeit verliebt und verlobt, heute soll Hochzeit gefeiert werden. Dieser Plan konfrontierte Ashraf mit dem Paralleluniversum, innerhalb dessen syrische Behörden heute agieren.
Ausländer, die heiraten möchten, müssen in vielen Ländern der Welt eine Bescheinigung vorlegen, aus der hervorgeht, dass sie in ihrem Herkunftsstaat nicht bereits verheiratet sind. So auch in Ägypten. Kein Problem, das Papier bekommt man bei der syrischen Botschaft. Dachte Ashraf.
„Nein, wir stellen diese Dokumente nicht mehr aus“, wurde ihm dort erklärt. „Sie müssen sich das selber in Syrien besorgen.“ – „Ich möchte jetzt aber nicht dorthin reisen.“ – „Warum denn nicht?“ Nun ja. „In Syrien ist alles völlig in Ordnung. Glauben sie den Medien nicht.“ Das tat Ashraf aber doch. Er bat deshalb lieber Verwandte, die noch in der Heimat leben, ihm die Bescheinigung zu beschaffen.
Die taten das. Und schickten das Papier sogleich mit einem Fahrer in die libanesische Hauptstadt Beirut, von wo aus es mit einem Kurierdienst nach Kairo weiter transportiert wurde. Willkommen im 19. Jahrhundert. Irgendwelche Wege gibt es ja immer, selbst inmitten der schlimmsten Wirrungen. Man muss sich nur zu helfen wissen.
Die letzten Regeln im Chaos
Große Begeisterung. „Ok, alles geregelt. Lass uns heiraten.“ Von wegen. Eine Kleinigkeit fehlte noch zum Glück: Die Beurkundung des Dokuments durch die syrische Botschaft und der amtliche Eintrag der Identität von Ashrafs Braut.
Eine alte arabische Tradition verlangt, dass diese Identität einer Frau bei ihrer ersten Hochzeit vom Vater oder einem anderen männlichen Verwandten bestätigt wird. Diese Regel gilt übrigens nicht nur für Muslime, sondern für Angehörige aller Religionen. „Wir haben diese Vorschrift in Ägypten auch, aber sie wird nicht stur angewandt“, sagt eine Freundin der Braut. „Es kommt auf die Umstände an.“
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Man nennt das Ermessenspielraum. Es ist etwas, was es umso weniger gibt, je chaotischer die Zustände in einem Land sind. Wenn eine Ordnung zusammenbricht, dann klammern sich Behörden stets an die letzten Regeln, auf deren Einhaltung sie noch bestehen können.
Die Umstände im Falle von Ashraf und seiner Verlobten sind denkbar ungünstig. Der Brautvater ist tot, Onkel gibt es nicht, auch keine Brüder. Ashraf, eigentlich ein geduldiger Mann, hatte es allmählich satt: „Verdammt, sie ist 29 Jahre alt. Sie braucht keine Vaterfigur.“
Die Sterbeurkunde rettet die Hochzeit
Das sah die Botschaft anders. Sie bestand auf der Sterbeurkunde des Brautvaters und deren Beglaubigung. Durch das ägyptische Außenministerium. Das geschah in der letzten Woche und war der Zeitpunkt, zu dem die Liebenden überzeugt waren, dass sie mit ihren Gästen nicht Hochzeit, sondern einfach eine sehr extravagante Party feiern würden.
Sie hatten dann aber doch Glück. Im Außenministerium zuckte man die Schultern und gab der Botschaft, was sie begehrte. Und deshalb kann heute doch Hochzeit gefeiert werden.
Wer über fehlende Dokumente von Flüchtlingen klagt und unterstellt, Papiere seien absichtlich vernichtet oder gefälscht worden, dem möchte man den Umgang mit Behörden eines Bürgerkriegslandes an den Hals wünschen. Ohne Gefahr für Leib und Leben. Sie sollen einfach nur den Amtsschimmel reiten müssen. Das könnte deren Blick auf die Welt nachhaltig verändern.
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