Kolumne Macht: Ein kuscheliges Wort
Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen. Das klingt harmlos. An Tod, Blut und Angst will man lieber nicht denken. Doch es geht um Krieg.
U m den Regentanz für eine sinnvolle Veranstaltung zu halten, kommt es nicht auf die Erfolgsquote an. Es geht dabei schließlich um den Glauben, nicht um die Realität. Die Art und Weise, in der hierzulande über internationale Militäreinsätze diskutiert wird, erinnert an alte Formen der Geisterbeschwörung. Mit der Wirklichkeit eines Krieges hat die Debatte nichts zu tun. Er darf ja nicht einmal so genannt werden.
Bei keinem anderen Thema werden Leute so schnell grundsätzlich wie bei diesem. Das gilt gerade für diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, „realpolitisch“ zu argumentieren, und Pazifismus für eine abstoßende Form der Traumtänzerei halten. Worüber nämlich reden sie? Dass Deutschland mehr „Verantwortung“ übernehmen müsse. Das ist ein kuscheliges Wort. An Tod, Verstümmelung, Blut, Gestank, Angst, Zerstörung und Hoffnungslosigkeit denkt man da nicht.
Auch das Wort „internationaler Militäreinsatz“ klingt ziemlich harmlos – jedenfalls harmloser als Kriegseinsatz und auch harmloser als das, was einem solchen Einsatz im Regelfall vorausgeht. Vielleicht wird deshalb so routiniert nach dem Militär gerufen, wenn irgendwo auf der Welt etwas geschieht, was zu furchtbar ist, um es sich vorstellen zu wollen. Als sei diese Forderung ein Abwehrzauber.
Der allerdings noch seltener funktioniert als der Regentanz. Die Überzeugung, Soldaten könnten politische Probleme lösen, ist zwar durch zahlreiche gegenteilige Erfahrungen nicht auszurotten, aber dennoch falsch. Kaum schaut man einen Krisenherd aus der Nähe an, wird es eben kompliziert.
Ein Abwehrzauber?
Manuela Schwesig ringt darum, Kind und Karriere zu vereinbaren. Nicht nur als Familienministerin. Warum sie trotz eines Kanzlerinnen-Rüffels immer noch an ihre Idee von der 32-Stunden-Woche glaubt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. Juni 2014. Außerdem: Bekommen wir bald Vollbeschäftigung? Ein Vater blickt in die Zukunft seines Sohnes. Und im sonntaz-Streit: Nordsee oder Ostsee? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Wie sich gegenwärtig nicht nur im Irak oder in der Ukraine zeigt. Sondern auch an so entlegenen Orten wie im Norden Nigerias. Ohne Unterstützung durch Teile der Bevölkerung könnte die Terrorgruppe Boko Haram dort ebenso wenig operieren, wie Isis es im Irak könnte. Glaubt vor diesem Hintergrund tatsächlich irgendjemand, die Verlegung von 80 weiteren US-Soldaten ins Nachbarland Tschad werde es Nigerianern in der Stadt Damaturu ermöglichen, ohne Angst ein Fußballspiel anzuschauen? Das kann niemand glauben.
Aber immerhin: Es geschieht etwas. Es geschieht etwas! Manchen von denen, die jederzeit bereit sind, andere Leute ins Gefecht zu schicken, scheint das zu genügen. Alles ist für sie offenbar besser als Untätigkeit.
Und es ist ja wahr: Der Widerstand gegen Militärinterventionen ist für sich genommen auch noch kein Nachweis einer humanen Haltung. Die Debatte findet – zu Recht – meist im Ressort Innenpolitik statt. Weil das Interesse für die Betroffenen am anderen Ende der Welt so groß dann doch nicht ist. Lieber arbeitet man sich am Gegner im eigenen Land ab.
Die Form, in der die Debatte über Kriegseinsätze gegenwärtig geführt wird, ist ebenso nutzlos wie bequem. Die einen erklären nicht, was genau das Ziel einer Intervention sein sollte und unter welchen Umständen es als erreicht gelten kann. Die anderen benennen keine konkrete Alternative.
Vielleicht ist der Mangel an Fantasie im Hinblick auf politische Intervention die schlimmste Begleiterscheinung der Tatsache, dass militärische Intervention inzwischen für eine Möglichkeit gehalten wird. In der fernen Vergangenheit des Kalten Krieges musste man sich wenigstens noch etwas einfallen lassen, um Konflikte zu entschärfen. Das war erfreulich. Für die Opfer.
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