Kolumne Macht: Es geht nicht um Befindlichkeiten
Bei einem Völkermord hat die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Intervention. Sagt das Völkerrecht.
G eht das gleichzeitig: sich viel zu wichtig nehmen – und nicht wichtig genug? Einfach ist das nicht, aber möglich. Die Bundesregierung beweist in diesen Tagen, dass sie auch schwierige Aufgaben bewältigen kann. Sie kriegt das hin.
Internationale bewaffnete Konflikte eignen sich hierzulande gut als Projektionsfläche für die eigene Befindlichkeit und für eine Wertedebatte. Übrigens nicht nur für die Politik, sondern auch für Stammtische und Medien. Kriegstreiber versus naive Pazifisten, alle werfen sich gegenseitig Herzlosigkeit und Zynismus vor. Schön vertraut.
Allerdings gilt der Mechanismus nur für neue und deshalb interessante Kriege. Wenn Leute in Gegenden sterben, aus denen oft Grausamkeiten gemeldet wurden, dann wendet sich das Publikum gelangweilt ab. In dieser Hinsicht sind die Verbrechen der Terrorgruppe IS ideal, um eine alte Diskussion zu beleben.
Den Opfern des sogenannten Kalifats wird die Kontroverse vermutlich wenig nutzen. Waffenlieferungen an irakische Kurden können den Flächenbrand in der Region nicht löschen. Leider ist es nicht einmal sicher, dass die sechs Bundeswehrsoldaten, die jetzt in den Nordirak geschickt wurden, die militärische Wende herbeiführen werden.
Kommt das Wissen der Zukunft aus dem Hinterhof? Bürgerwissenschaftler verzichten zugunsten ihrer Unabhängigkeit auf Diplome und Gehälter, haben dafür aber oft mehr auf der Pfanne als ihre professionellen Kollegen. Der Stand der Forschung in der taz.am wochenende vom 6./7. August 2014. Auf der Couch des taz-Psychoanalytikers Christian Schneider ist dieses mal die CSU-Spitzenpolitikerin Dorothee Bär. Und: Hessens Grüner Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir wundert sich selbst, dass Schwarz-grün so reibungslos funktioniert. Und erklärt im Gespräch, warum. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Wenn man der Bundesregierung nicht unterstellen möchte, durch Aktionismus lediglich Tatenlosigkeit verschleiern zu wollen, dann zeugen alle bisherigen Initiativen von Selbstüberschätzung. Was Deutschland im Alleingang unternimmt, ist nämlich ziemlich egal. Berlin sollte sich nicht so wichtig nehmen.
Waffenlieferungen an irakische Kurden
Aber vielleicht doch wichtiger als bisher. Deutschland ist eine ziemlich bedeutende Mittelmacht. Die deshalb durchaus Einfluss ausüben kann – beziehungsweise: könnte. Auf Verbündete, beispielsweise.
Das Klima zwischen den Großmächten USA, Russland und China ist derzeit kühl bis eisig. Dennoch konnten sich alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf eine Verurteilung des IS einigen. Alle. Eigentlich ist das eine Sensation. Und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen? Keine.
Bei einem Völkermord hat die Staatengemeinschaft nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Intervention. Sagt das Völkerrecht. Deren Urheber nicht so blauäugig waren, wie heute gerne behauptet wird.
Der Völkermord in Ruanda ist 20 Jahre her. Die Selbstbezichtigungen, dass man damals mehr hätte tun können und müssen, liegen gerade mal ein paar Monate zurück. Konsequenzen? Wiederum: keine.
Selten – vielleicht nie – seit dem Zweiten Weltkrieg standen die Chancen so gut, durch gemeinsames Vorgehen und im Einklang mit geltendem Recht einem Völkermord Einhalt zu gebieten. Es bedürfte nur eines entsprechenden UN-Mandats. Pech für die Opfer, dass daran wieder einmal kaum Interesse zu bestehen scheint.
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