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Kolumne LügenleserEmpört Euch über die Empörung!

Verflucht seist Du, Jens Spahn, Kirchenglocke von Schweringen und Jens Jessen. Wirklich? Jeder Skandal ist doch ein Katalysator für den Erfolg.

Heiliger Bimbam! Was soll denn der Lärm? Foto: dpa

W issen Sie noch, letzte Woche? Sie haben einen wütenden Kommentar auf Facebook hinterlassen. Worum ging’s noch mal? Stinksauer. Gestern war schon wieder was. Deswegen hatten Sie leider keine Zeit mehr, sich um die andere Sache zu kümmern, aber wird schon was gebracht haben, die Empörung. Ist ja auch eine Crux, jeden Tag sprießt etwas Neues aus dem Boden, das verärgert.

Verflucht seist du, Jens Spahn, Kirchenglocke von Schweringen, SPD, Beatrix von Storch, Echo-Nominierung, Ziegenmord, Nestlé, Tatort und Jens Jessen. Letzterer hat mit seiner Zeit-Geschichte „Der bedrohte Mann“ gezeigt, dass sich die von jeglichen Fakten losgelöste Erregungskultur aus den Kommentarspalten bis auf die Titelseiten angeblich hochseriöser Magazine wanzen kann. Wer laut genug schreit und provokant genug schimpft, bekommt fünf Minuten Ruhm. Zu fünfzehn Minuten reicht es nicht mehr, aber das konnte Andy Warhol ja nicht ahnen.

Früher hätte man im Falle Jessen einen Chefredakteur erwartet, der erkennt, dass da jemand mit unprofessionellem Rumgeheule nach Aufmerksamkeit heischt. Das Sätze wie „der Triumph des totalitären Feminismus“ oder „diesem Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen“, nur dem Zweck der kalkulierten Empörung dienen; um laut zu rufen: „Hier bin ich, prangert mich an, beschimpft mich.“ Da möchte jemand demnächst erzählen, dass die Gesinnungsdiktatur ihn verfolgt und man sein Buch vorne am Ausgang kaufen kann.

Die Drohkulisse „Shitstorm“ ist längst keine mehr. Ronja von Rönne oder Simon Strauss haben gezeigt, wie man literarisch aus der Empörung Kapital schlägt. Das Stöckchen könnte kaum niedriger gehalten werden, über das da täglich gesprungen wird.

Herr, lass es Scheiße regnen

Und wenn H&M einen kleinen Jungen in einem unpassenden Pullover ablichtet, dann legt Heineken eben später mit einer ähnlich dummen Kampagne nach, und nicht nur der Musiker Chance the Rapper vermutet, dass es „Firmen gibt, die absichtlich rassistische Werbungen schalten, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen“. Herr, lass es Scheiße regnen auf meinen Kopf, ich winke euch später aus meinem Ferrari lächelnd zu. Und es funktioniert.

Auf jeden dummen Satz folgt eine Reaktion. Jeder Skandal ist nur noch ein Katalysator für den Erfolg. Die Empörung der anderen, das nämlich ist das Erfolgsprinzip, ist immer auch die klammheimliche Freude der ideologischen Gegner. So einfach ist das. Wirklich so einfach?

Na dann. Schaltet Twitter ab. Geht auf die Straße. Boykottiert die Zeit. Zündet die AfD-Zentrale an. Steckt Jens Spahn in eine Hochhaussiedlung. Klaut bei H&M. Bewerft Jens Jessen mit Tomaten und Beatrix von Storch mit Torten.

Aber vor allem: Flext sämtliche Kirchenglocken dieser Erde kaputt. Dann kann ich sonntags endlich wieder ausschlafen. Denn darum geht es ja hier. Um mich!

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Juri Sternburg
Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.