Kolumne Liebeserklärung: Der Otto-Katalog
Er war Bilderbuch verborgener Wünsche. Gemeinsam mit dem Otto-Katalog geht jetzt ein ganzes Genre – was bleibt ist das Internet.
D as ist weder eine traurige noch eine froh stimmende Nachricht: Wie jetzt bekannt wurde, erscheint am 4. Dezember die letzte Auflage des Otto-Katalogs. Dieser ist das letzte Exemplar einer friedensstiftenden Literaturgattung – der der Warenhausgesamtangebotsbilderbücher. Friedensstiftend waren sie, weil diese Konsumparadiese in Verheißungsform erstmals nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg publiziert wurden und damit die neue, die endlich antiheroische Zeit versinnbildlichten.
Damals war die Welt noch analog: Schöne Dinge, ob nun Unterhosen, Pelzmäntel, Regenschirme, TV- und Rundfunkgeräte, wurden in dieser Waren- und Unterschiedlichkeitsfülle nur für wohlhabende Leute ausgebreitet, und bevorzugt in Metropolen, in Kaufhäusern. Die Kataloge indes brachten die Warenwelten, die später in der Soziologie viel zu empfindungslos als Kern des „Konsumismus“ bezeichnet wurden, aufs Land, ins letzte Dorf und ins abgelegenste Tal.
Diese Bilderbücher machten hungrig, weil sie ein Kaleidoskop verborgenster Wünsche offenlegten. Millionen waren somit nicht mehr abgehängt, konsumentiell nicht mehr prekär. Man kann das heute nur noch verstehen wie ein Konsum-Funkloch: Man wollte so gern teilhaben, gegen alle linkskonservativen Warnungen vor Konsumterror, wurde aber durch schlechte Infrastruktur mattgesetzt.
Der Otto-Katalog, der letzte, wird nicht das allerletzte Kompendium sein, nur das für die fast ganze Warenwelt. Andere Zeitschriften gibt es ja noch, von Ikea, Grüne Erde, Manufactum, Hess und anderen, aber sie publizieren keine Coffee-Table-Books für alle, sondern eher für das mittlere Bürgertum, vor allem das mit ökologischem Konsumbewusstsein.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Und was wird bleiben? Das Internet. Der Otto-Konzern, ohnehin sehr früh online präsent, preist sich dort weiter. Ob das aber allen flüssig offen steht, bis in die letzten Winkel? Sehr fraglich. Die herrschende Politik in Deutschland zeigt sich diesem Problem beziehungsweise seiner Lösung gegenüber eher desinteressiert – oh ja, es gibt sie, die digital abgehängten Landschaften.
Wenn dies einst nicht mehr so sein sollte, dann erst endet die Trauer um die Bildbände, die nichts als die ganze Warenwelt verhießen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert