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Kolumne LiebeserklärungDer Beauftragte als Heilsbringer

Für jede Selbstverständlichkeit, für jeden Blöd- und Widersinn gibt es einen Beauftragten. Da muss sich doch mal jemand drum kümmern.

Der Topbeauftragte für alles fehlt noch Foto: TOM

D as hat der ehemalige Problembär Kurt Beck aber schön hingekriegt: Als offizieller Beauftragter für die Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz hat er dem Regierenden Bürgermeister von Berlin offenbar klargemacht, dass es womöglich nicht ganz formvollendet ist, Angehörigen von Terroropfern als erste offizielle Mitteilung eine Rechnung über die Obduktion ihrer Liebsten zuzuschicken.

Derweil Innenminister Thomas de Maizière die eilige Beauftragung eines Beauftragten für Antisemitismus fordert, denn von allein kommen die Leute offenbar nicht darauf, dass es nicht in Ordnung ist, Juden zu beschimpfen oder anzugreifen – nicht einmal dann, wenn sie das Israelkritik nennen.

Ein erstes Dienstgespräch des neuen Beauftragten wäre wohl bei der Linkspartei angezeigt, da scheint grundlegender Beratungsbedarf zu bestehen. Woher sollen Leute wie Wagenknecht und Lafontaine auch von selbst wissen, dass es vielleicht keine ganz so gute Idee ist, sich schützend vor Ansammlungen notorischer Israelhasser und Jüdische-Weltverschwörungs-Rauner zu stellen oder, wie Dieter Dehm, gleich selbst mitzuraunen?

Früher gab es für so etwas Gouvernanten, heute sind es Beauftragte. Wenn es von allein nicht klappt, muss eben ein gestrenger Aufpasser her. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Beauftragten für Leserkommentare, damit nicht unter jeden Artikel als Erstes geschrieben wird, dass das alles aber Schuld muslimischer Einwanderer sei, egal ob es um das Insektensterben, das letzte Spiel der Fußballnationalmannschaft oder um die Gefahren von Brustimplantaten geht? Ein DHL-Beauftragter als Anlaufstelle für alle, die ihre Pakete von Gottweißwoher abholen müssen, obwohl sie vorne im Haus einen DHL-Shop haben? Ein Fest-Beauftragter, der klarmacht, dass nicht überall die Unterwerfung vor dem Islam dahintersteht, wenn mal nicht das Wort „Weihnachten“ im Namen einer winterlichen Veranstaltung steht?

Ein Beauftragter für Boris Palmer, der ihm erklärt, dass es nicht Aufgabe von Grünen-Politikern ist, AfD-Positionen zu vertreten? Ein Tatort-Beauftragter, der die kollektive Schnappatmung kanalisiert, sobald einer der Filme nicht ganz dem üblichen Schema folgt? Ein Akkreditierungsbeauftragter, der verhindern soll, dass Journalisten wie unlängst auf dem G20-Gipfel unrechtmäßig die Akkreditierung entzogen wird? Ach – den gibt es schon?

Wie überhaupt eine kurze Google-Abfrage den Verdacht nährt, dass es im Grunde zu praktisch jedem Thema bereits einen eigens dazu Beauftragten gibt. Nur einer scheint noch zu fehlen: Ein Beauftragter als Anlaufstelle für alle Beauftragten, die dazu genötigt sind, ihre Kraft und Energie damit zu verschwenden, sich um schiere Selbstverständlichkeiten oder originäre Aufgaben der Politik zu kümmern. Ich wäre bereit!

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Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
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1 Kommentar

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  • Wenn auch für ein Bewerbungsschreiben wie dieser Satz - nicht enden wollende

    a weng mehr als deutlich zu länglich um nicht zu lang zu sagen - geratene - puuh!

    Aber ok.