Kolumne Lidokino: Über das Handwerk der Soldaten
Die Regisseurin Kathryn Bigelow hat nach sechs Jahren Pause wieder einen Film gemacht: "The Hurt Locker", er spielt im Irak.
Harte Kontraste gehören zu Filmfestivals. Nachdem man in "The Sky Crawlers", dem Anime von Mamoru Oshii, jungen Fliegern beim Luftkampf zugeschaut hat, wechselt man zum dokumentarischen Genre. Gianfranco Rosis "Below Sea Level" begleitet fünf, sechs Drop-outs, die an einem ungastlichen, unterhalb des Meeresspiegels gelegenen Ort in der kalifornischen Wüste Zuflucht gefunden haben. Von dort ist es nicht weit zu Jonathan Demmes Hochzeitszirkus "Rachel Getting Married", in dem man es mit so viel verkorkster Familienpsychologie zu tun bekommt, dass man sich hinterher erschöpft auf die Couch legen möchte.
Doch dafür ist keine Zeit, es geht ins istrische Städtchen Pula, das Mario Bonnard 1948 zum Schauplatz seines Schwarzweißfilms "La città dolente" machte. Die meisten italienischen Bewohner haben die Halbinsel verlassen, nachdem große Teile Istriens Jugoslawien zugefallen sind. Wenige bleiben, weil sie an den Sozialismus glauben statt an das, was ihnen der Priester sagt. Sie werden dafür vom Film nach Kräften abgestraft.
Manchmal findet sich das Nebeneinander des Heterogenen, findet sich der harte Schnitt auch in einem einzigen Film - zum Beispiel in "The Hurt Locker", dem Wettbewerbsbeitrag von Kathryn Bigelow. Eben noch fährt Sergeant William James (Jeremy Renner), Mitglied eines Bombenentschärfungskommandos, durch Bagdad und unterhält sich mit dem Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) darüber, wie er mit der Allgegenwart des Todes umgeht: "Ich denke einfach nicht daran." Im nächsten Augenblick steht William James in einem riesigen Supermarkt, unschlüssig, welche der ungefähr 50 Sorten Getreideflocken er in seinen Wagen legen soll. Seine Haare sind zwei, drei Zentimeter gewachsen, seine Frau tritt an ihn heran, später sieht man die beiden in der Küche beim Möhrenschälen, er wirkt wie ein Fremdkörper. Dann spielt er mit seinem Sohn im Kinderzimmer, von dort schneidet "The Hurt Locker" jäh auf zwei Hubschrauber - William James wird wieder in Bagdad landen.
Vor einem Jahr nahm Brian De Palma mit "Redacted" am Wettbewerb der Mostra teil, mit einem rauen, wütenden Film, in dem die US-amerikanischen Soldaten unter den Bedingungen des Krieges ihre Fähigkeit zu menschlichem Handeln verlieren. Bei Bigelow geschieht dies nicht. Ihre Figuren mögen sich besaufen, sich zum Spaß verprügeln oder blind für die Gefahr agieren, aber im Grunde ihres Herzens bleiben sie gute Kerle. "The Hurt Locker" hält sich nicht mit Reflexionen über die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit des Krieges auf, genauso wenig interessiert den Film die Perspektive der Iraker. Stattdessen schaut er sich frappierend genau an, was man das Handwerk der Soldaten nennen könnte. Wie geht es konkret vonstatten, wenn Bomben entschärft werden? Welche Werkzeuge kommen dabei zum Einsatz, welche Schutzanzüge, welche Materialien? Welche unterschiedlichen Typen von Bomben und von Zündern gibt es, welche Arten wählen die aufständigen Iraker, sie zu deponieren? Und wie gestaltet sich ein Schusswechsel in der Wüste? Derart, dass man lange Zeit nichts anderes sieht als Sanddünen. "Worauf schießen wir eigentlich?", fragt einer der Soldaten. "Ich weiß es nicht", antwortet ihm ein anderer.
Die Kamera tastet das Gelände nach Gegnern ab, so wie es die Männer hinter den Suchern ihrer Schnellfeuerwaffen tun. Nach einer Weile findet sie einen Unterstand, vielleicht 600 Meter von der Position der Amerikaner entfernt. Mit dem Schnitt wechselt die Kamera die Seiten, für einen Moment blickt sie aus dem dunklen Unterstand heraus ins Freie, auf die Amerikaner, die sich in der Ferne in den Wüstensand drücken.
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