Kolumne Leuchten der Menschheit: Der Mörder ist immer ein Amerikaner
Wer in diesen Tagen die USA kritisiert, hat den Applaus sicher. So auch der Journalist Jeremy Scahill, den man in Deutschland gerne sprechen hört.
J eremy Scahill ist derzeit ein sehr gefragter Mann. Der US-amerikanische Autor ist gerade mit seinem Buch „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“ (Kunstmann Verlag, 2013) in Deutschland unterwegs.
Und wo er auftaucht, halten ihm deutsche Journalisten die Mikrofone unter die Nase. Ob große oder kleine Feuilletons: ein Abfrageinterview folgt dem anderen. Sein Stoff und seine Methode sind scheinbar selbsterklärend. Stichwort: Amerika-Kritik. Applaus von Menschenrechtsaktivisten, Applaus von Mitgliedern der Akademien.
Scahills Obama-Bashing kommt gerade recht. Schließlich haben die Allmächtigen aus Nordatlantik gar das Privathandy der Kanzlerin abgehört. Zumindest ein auf russisches Territorium übergelaufener US-Agent behauptet dies ja.
So wüsste die NSA also nun, wann der Kanzlerin Mann zu Hause die Nudeln ins Wasser schmeißt. Und natürlich auch, was die „mächtigste Frau der Welt“ über Seehofer oder Obama wirklich denkt, wenn die Etikette fällt.
Zuletzt bespitzelte Wikileaks die US-Diplomaten - zur Aufklärung
Nun ja, nicht sehr klug, wenn man sich als US-Amerikaner beim Bespitzeln erwischen lässt. Oder beim Tratschen. Bespitzelt wurden US-Diplomaten ja ihrerseits zuletzt – nein, nicht von Russen, Chinesen, Iranern oder Syrern, sondern von Netzwerken wie Wikileaks. Das Spionieren diente hierbei natürlich der Aufklärung. Logo, es geht ja um Amerikaner.
Dadurch wissen wir heute aber immerhin, dass die US-Diplomatie Merkels Außenminister Guido Westerwelle für einen ahnungslosen und opportunistischen Hanswurst hielt. Doch merke: Die Spione sind immer die anderen. Und der Mörder ist immer ein US-Amerikaner.
Jeremy Scahill, der 38-jährige Autor von „Schmutzige Kriege“, und seine deutsche Feuilletonfangemeinde glauben fest daran: Die Außenpolitik der USA folgt in ihren Motiven einer neokonservativen Verschwörung. Einem rassistisch-imperialen Komplex, der wie ein Bumerang auf seine Urheber, die USA, zurückfalle.
Bei aller berechtigter Kritik: Eindimensionalität ist gefährlich
„Wir werden einen Preis für all das zahlen, für die Folterprogramme, die Drohnenangriffe“, sagt Scahill, „wir ermutigen gerade ein ganze Generation junger Muslime, uns zu hassen.“ Bei aller berechtigter Kritik an Menschenrechtsverletzungen im Antiterrorkampf der USA, diese rhetorische Figur ist in ihrer Eindimensionalität gemeingefährlich.
Scahills Unterstellung, dass es die Verbrechen des Westens im Antiterrorismuskampf seien, die Gruppen wie al-Qaida erst schaffen und Zulauf brächten, ist haltlos. So monokausal verläuft die Geschichte nicht.
Die Ursachen des Islamismus sind zuerst in den Herkunftsstaaten zu suchen
Die Ursachen für den islamischen Extremismus und sein – weltweit – militantes Sendungsbewusstsein sind zuerst in den Herkunftsstaaten selbst zu suchen. Schlechtes Regieren, kulturelle Rückständigkeit, korrupte postkoloniale Eliten, dies führte zur Arabellion und in Syrien in den Bürgerkrieg.
Wenn sich einzelne Versprengte in der Diaspora den Islamistengruppen anschließen, so hat dies wenig mit realen Erfahrungen, jedoch viel mit antiimperialistischen Vorurteilen zu tun. Die verbreiten religiöse Eiferer allerdings ebenso gerne wie linke US-Kritiker.
Doch schwarz/weiß ist vorbei, lieber Jeremy Scahill. Wer über die Folgen von Entgrenzung durch neue Technologien und den heutigen Guerilla- und Anti-Guerilla-Kampf spricht, sollte den Antiimperialismus endlich in der Sierra Maestra lassen.
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