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Kolumne LandmännerShow must go on

Martin Reichert
Kolumne
von Martin Reichert

Wer ordentlich Grölsongs fabriziert, darf auch auf dem Land schwul sein.

F reddie Mercury war auf dem flachen Land der wohl größte Botschafter für die schwule Sache: Selbst der hartgesottenste Fußballfan, der gröbste Proll und der rüpeligste Bauer konnten einem Mann, der der Welt solch wunderbare Grölsongs wie "We are the Champions" oder "I want to break free" nicht ernsthaft böse sein, egal was der so im Bett trieb.

Der Freddie, der war schon irgendwie in Ordnung, und dass ausgerechnet er an dieser schrecklichen Krankheit sterben musste, das tat ihnen dann schon auch leid. Noch heute bekommt man von solchen Jungs knochenkrachende, freundliche Schläge auf den Rücken: "Der Freddie war doch auch einer von euch."

Genau zwanzig Jahre ist das jetzt her: Mercury starb an einer Lungenentzündung - einen Tag nachdem er öffentlich gemacht hatte, dass er positiv auf HIV getestet worden war. "Show must go on", das war sein Schwanengesang. Just zwanzig Jahre später liegt ein anderer Poptitan aus jenen Tagen, in denen "Sound" noch eine wichtige Kategorie war und der Begriff MP3 noch nicht in aller Munde, mit Lungenentzündung in einem Wiener Krankenhaus: Es handelt sich um den "bekennenden Homosexuellen" George Michael.

Bild: taz
Martin Reichert

ist Redakteur bei der sonntaz.

Und was schwurbelt, murmelt und raunt die Bild? Etwas von wilden Tagen der Vergangenheit mit Klappen- und Parksex und einer eventuellen Grunderkrankung mit drei oder vier großen Buchstaben, deren mit Sünde-Pest-Schuld kontaminierten Namen man aber lieber nicht ausspricht.

Wahrscheinlich ist George Michael einfach nur erschöpft nach den ersten 45 Konzerten seiner aktuellen Tournee und hat sich was gefangen - so wie derzeit die halbe Republik. Das Verrückte aber ist, das die öffentliche Wahrnehmung von HIV und Aids ungefähr Anfang der Neunziger stehen geblieben zu sein scheint, also bei den Fotos von Freddie Mercury mit roten, entzündeten Augen. Oder gar bei Rock Hudson, der sich 1985 einen kompletten Air-France-Jumbo chartern musste, um von Paris zurück in die USA fliegen zu können - sämtliche Fluggesellschaften hatten sich geweigert, ihn zu transportieren.

Die Betroffenen selbst - zumindest in den westlichen Ländern - leben längst in einer anderen Realität. Seit Einführung der Dreifach-Kombinationstherapie im Jahr 1996 müssen HIV-Positive wieder an ihre Rentenversicherung denken, können in der Regel ihrem Beruf nachgehen, sind, so sie unter Behandlung stehen, auch nicht mehr infektiös. Von einem "neuen Aids" spricht längst der Sexualforscher Martin Dannecker. "Neues Aids", schon mal gehört?

Wahrscheinlich nicht, und das liegt auch an dem Schweigen der Betroffenen, die ihre Erkrankung meist verbergen: Zu groß ist das Stigma, die leider total berechtigte Angst vor Ausgrenzung - auch innerhalb der schwulen Szene - und Nachteilen im Beruf.

Überhaupt ist bei vielen Schwulen ein großes Schweigen zu beobachten, denn geschätzt wird in der Mitte der Gesellschaft der nette, irgendwie total normale Homosexuelle, der in einer festen, möglichst monogamen Partnerschaft lebt, eigentlich auch ganz gern Kinder hätte und wie alle anderen auch zwischen Bioladen, Ikea und Caffè-Latte-Geschäft vor sich hin dämmert. Anders sein nervt nämlich, weshalb nächtliche Parks, Pornos, Tunten, HIV, Depressionen, homophobe Übergriffe und Dildos lieber beschwiegen werden. Show must go on.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

2 Kommentare

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  • A
    amo

    "I want to break free" ist objektiv kein grölsong.

  • TJ
    tom jensen

    Ich bin ja froh, dass die TAZ nicht dieselbe Dummheit der restlichen Blogs, Medien und Pseudo-Journalisten mitmacht und bei solchen und ähnlichen Artikeln, in denen einerseits die menschenverachtende Hetze der BILD kritisiert wird, aber andererseits gleichzeitig schön treudoof ein Direktlink zu bild.de mitliefert wird, damit auch möglichst viele neugierige Leser draufklicken und dem Drecksblatt zusätzliche Seitenabrufe und Werbeerträge bescheren.

     

    Es ist eigentlich traurig, dass man das überhaupt sagen muss, aber es sei mal erwähnt: "Danke, für das NICHT-Verlinken der Bild-Zeitung" - die Frage ist, wann hören mit dem Blödsinn endlich auch die Blogs und Journalisten der anderen Medien mit dieser Unart auf?

     

    Hetzartikel und Peinlichkeiten der Bild sind wie ein blutiger Autounfall: Sie sind schrecklich, aber viele können sich das gaffen aus Neugier nicht verkneifen, wenn da so ein veführerischer Gaffer-Link auftaucht. Also gebt der Unfall-Gaffer und der Neugier keine Chance liebe Journalisten, und verzichtet auf Verlinkung der Bild!