Kolumne Kriegsreporterin: Sind wir nicht alle ein wenig überfordert?
Uwe Timm, Frauentag, Michael Jürgs, "Spiegel" und natürlich Guttenberg – ganz Deutschland ist überfordert.
H allo, taz-Medienredaktion,
habt ihr auch so viele Gegner? Die euch zum Rücktritt zwingen? Obwohl ihr so gute Arbeit macht? Wobei die Springer-Anzeige schon ziemlicher Bockmist war. Kommt die Bild, hält euch was hin, was jemand anders gesagt und nicht freigegeben hat. Und ihr druckt das gegen Geld. Nicht schön! Aber wahrscheinlich ward auch ihr schlichtweg überfordert. So viele Aufgaben und dann noch die junge Familie!
Das geht wohl auch den Leuten von Welt Kompakt so. Das Blatt, das so gern ein Jugendmagazin wäre, wird am Hamburger Hauptbahnhof verteilt. Gerade gab es ein Interview mit dem Schriftsteller Uwe Timm. Der, wie sie behaupten, durch sein Buch "Die Entdeckung der Currywurst" bekannt wurde. Dass Timm durch "Heißer Sommer", einen Roman über die 68-Revolte, bekannt wurde, das gut 20 Jahre zuvor erschien, mag den Handlangern Springers nicht in die hauseigene Geschichtsschreibung passen. Hab ich zunächst gedacht. Dann aber fiel mir ein: überfordert! Total überfordert! Weil die Redakteure ununterbrochen on the road sind. Denn ein paar Tage zuvor haben sie auch berichtet: "Heute wird in Gesellschaft niemandem so gern gelauscht wie Cash." Johnny. Ja, das kostet natürlich Kraft. Vom Fingerfood-Abend bei FDP-Anhängern zum Guttenberg-Soli-Fondue und wieder zurück, um festzustellen, niemandem würde in Gesellschaft so gern gelauscht wie Cash. Da darf man auch schon mal von der Rolle sein.
Und die Überforderung geht weiter. Kaum habe ich mich einmal umgedreht, das Gewehr durchgeladen und in die Stiefel gewichst, steht der Internationale Frauentag schon wieder vor der Tür. Was für mich der Tag des Michael Jürgs ist, den ich letztes Jahr mit einem klugen Satz zitieren wollte. Dieser Satz war infolge kreativer Gestaltung des Kampfplatzes Schreibtisch nicht auffindbar, und wie so oft war das Ergebnis nach Bitte um Wiederholung der Aussage nur zu 65 Prozent so gut wie das Original. Da bei mir nichts wegkommt, ist auch der Satz wiederaufgetaucht, den ich nun in der Gänze seiner Kraft erneut abdrucken möchte. Michael Jürgs, ein profunder Kenner dieser Branche und jemand, der den Anspruch an weibliche Formen der Ansprache mit dem Gedanken wegwischt, man wisse ja, wer gemeint sei, sagt über den Arbeitsbereich Journalismus: "Dumme Männer mit Netzwerk verhindern kluge Frauen mit Höhenangst."
Für alle diejenigen, die jetzt keine Schere zur Hand haben, keine Sorge, ich schreib das jetzt jedes Jahr zum 8. März hier hin. (Ja, liebe Zitterheinis, das geht hier noch ein wenig weiter!) Es ist ganz schön blöd, dass wir alle gerade dieser Tage so überlastet sind! Da kommt man gar nicht hinterher.
Die Kriegsreporterin berichtet jeden Mittwoch von der Medienfront. Feldpost? Mail an kriegsreporterin@taz.de
Nicht hinterher komme ich etwa - aus sehr traurigem Anlass - bei der Frage, wozu eine Hausmitteilung gut ist? Beim Spiegel. Da stirbt überraschend eine 35 Jahre alte Redakteurin des Blattes, und anstatt in der Mitteilung des Hauses seine Bestürzung auszudrücken, wird "Der Große Spiegel-Wissenstest" beworben. Die Meldung zu ihrem Tod findet sich hinten im "Register", in einer Sprache, die kein "wir" kennt, keine persönliche Betroffenheit, geradeso, als sei die Redaktion eine gefühllose Maschine.
Wahrscheinlich völlig überfordert. Zu viel Mann im Hause Spiegel. Da geht es mir bekanntlich anders. Viel Emo. Auch tion. Schon ganz mürbe bin ich. Um es mit KTzG zu sagen: Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht. Für zwei Wochen nix Buchstaben. Der Sonne entgegen zurück nach Berlin!
PS: Dieser Text ist nicht für Werbezwecke!
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