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Kolumne KonservativSpießiges Bier

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Was ist konservativ? Und ist Aperol Spritz die Spitze des Fortschritts? Es herrscht große Begriffsverwirrung. So ein Glück.

Diese Spießer: Bier trinkende „Muxe“, mexikanische Vertreter des „dritten Geschlechts“. Bild: Reuters

B ei Tisch redet man nicht über Politik. So lautet eine alte Sitte. Natürlich halte ich mich nicht daran, schließlich bin ich nicht konservativ.

„Was ist konservativ?“, frage ich zwei Freunde, mit denen ich beim Essen sitze. Die eine ist Journalistin aus Berlin, der andere Betriebswirt aus München. Hier eine sich links Verortende, dort ein selbst erklärter Konservativer.

Die Linke sagt: „Konservative lieben das Bestehende zu sehr. Wenn sie die Wahl haben zwischen Pest und Cholera, entscheiden sie sich für die Pest. Fortschrittliche suchen nach einem Heilmittel.“

Toll, denke ich. Mein mittelmäßiges Essen im Tausch für erstklassige Bonmots. Die klaue ich mir. Von wegen „Bei Tisch redet man nicht über Politik“! Was für eine dumme, veraltete Sitte.

Fortschritt oder Aktionismus?

Bild: privat
Matthias Lohre

ist Politischer Reporter der taz. Vor Kurzem erschien sein Buch „MILDE KERLE – Was Frauen heute alles über Männer wissen müssen“ bei Fischer/Krüger.

„Ach Quatsch!“, ruft der Konservative. „Linke sehen den Wandel als Wert an sich. Konservative hinterfragen seinen Sinn. Und wenn der ’Fortschritt‘ bloß Aktionismus ist, lehnen sie ihn halt ab. So einfach ist das.“

Ist das so einfach? Lässt sich so klar definieren, was konservativ ist? Dann hätte ich ein Problem. Schließlich schreibe ich künftig an dieser Stelle nicht mehr über Männer, sondern über alles, was konservativ ist. Das Thema habe ich mir recht voluminös vorgestellt: Mal lässt sich das Konservative bei den Grünen betrachten, mal das unterschwellig Fortschrittliche in einer Studentenverbindung. Immerhin ist das, was als konservativ gilt, ständig im Wandel.

Franz Josef Strauß sagte 1978: „Konservativ heißt nicht nach hinten blicken, konservativ heißt an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Aus dieser Begriffsverwirrung, der Umwertung aller Werte, muss sich doch jede Menge Humor ziehen lassen. Und jetzt? Ist etwa alles klar? Worüber soll ich dann schreiben?

„Andererseits“, sagt die Linke widerwillig, „kann man sich von der konservativen Lebenseinstellung etwas abschauen. Das merke ich in armen Ländern. Die meisten Leute sind mit dem Status quo schon recht zufrieden. Über kleinere Veränderungen freuen die sich richtig. Linke wollen alles verbessern und sind frustriert, wenn es nicht klappt.“

Adenauer! Erhard!

„’Kleine Verbesserungen‘?“, fragt der Freund. „Konservative Politiker haben die Bundesrepublik nach dem Krieg aufgebaut. Adenauer! Erhard! Diese Männer und ihre Partei haben Großes geleistet, nicht nur ’kleine Verbesserungen‘. Deine Grünen hingegen …“

„Das sind nicht ’meine‘ Grünen!“, ruft die Linke. „Die sind so spießig wie du und dein …“ Sie blickt aufs Glas in der Hand des Gegenübers. „… dein Bier!“

„’Spießig‘?“, fragt der Rechte die Linke. „Dann ist dein Aperol Spritz also fortschrittlich? Erzählst du deinen linken Journalistenfreunden eigentlich von deinem Plan, aufs Land zu ziehen, wenn du Kinder hast?“

Oh, oh: Der Essens-Plausch eskaliert. „Bei Tisch redet man nicht über Politik“ – was für eine kluge, konservative Sitte.

„Also bitte“, sage ich: „Streitet ihr euch ernsthaft darüber, was konservativ ist?“

„Ja!“ „Nein!“

Ich lehne mich lächelnd zurück. Was als konservativ gilt, ist also unklar. Das ist doch schon mal ein Fortschritt.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.
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7 Kommentare

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  • A
    aujau

    Die BRD wurde von den Truemmerfrauen aufgebaut, nicht von den konservativen Politikern.

  • M
    Marco

    Also ich empfand immer Aperol Spritz als das Spießer Getränk schlechthin

  • DS
    Der Sizilianer

    „Linke sehen den Wandel als Wert an sich. Konservative hinterfragen seinen Sinn. Und wenn der ’Fortschritt‘ bloß Aktionismus ist, lehnen sie ihn halt ab. So einfach ist das.“

     

    Was für eine hohle Phrase. Wer bitteschön nimmt denn NICHT für sich in Anspruch, das Sinn- und Wertvolle bewahren zu wollen und sich nur für vernunftorientierten Fortschritt einzusetzen? Mit dem, was politischen Konservatismus ausmacht, haben Catch-all-Sprüche á la „Wir bewahren, was gut ist und sich bewährt hat und lehnen ab, was den Menschen schadet“ nichts zu tun – das wollen natürlich auch Linke. Konservatismus zeigt sich vielmehr in dem, was ein Mensch darüber denkt, wie das Verhältnis von Staat und Individuum, Gemeinschaft und Gesellschaft, Gleichheit und Ungleichheit beschaffen sein soll, wie sich Autorität legitimieren soll u. a. m.

     

    Als geschlossene Weltanschauung ist der politische Konservatismus längst untergegangen. Der Konservatismus ist zudem in Deutschland diskreditiert, seit die von Hindenburgs, von Papens, von Schleichers, Hugenbergs, die DNVP, der Alldeutsche Verband etc. meinten, auf die faschistische Karte setzen zu müssen - und so mitverantwortlich für die Zerstörung der ersten deutschen Demokratie wurden. Nach 1945 hatte der Konservatismus in Deutschland auch deshalb keine große politische Bedeutung mehr – und er hat an Bedeutung immer weiter eingebüßt. Seine Reste vegetieren heute irgendwo in den beiden „Volksparteien“. Daran ändern auch die Steinbachs, Schröders und heutigen Adepten von FJS nichts mehr.

     

    Es reicht eben nicht, das Bismarksche Rezept vom konservativ gesteuerten Fortschritt immer und immer und immer wieder neu aufzulegen („Laptop und Lederhose“) – letztlich verdecken die Konservativen damit nur mühsam, dass sie im Grunde keine überzeugenden politischen Rezepte und Ideen für das 21. Jahrhundert haben. Also eigentlich politisch überflüssig geworden sind.

  • R
    ReVolte

    "Erzählst du deinen linken Journalistenfreunden eigentlich von deinem Plan, aufs Land zu ziehen, wenn du Kinder hast?“

     

    Der Fortschritt manifestiert sich hier in durch künstliche Befruchtung erzeugten Kinder mit Zweitmama. Voll Bio.

  • L
    leChat

    Und ich dachte, die Maennerkolumne waere schlecht gewesen.

  • N
    Nordwind

    Britische Forscher fanden 2012 heraus:

     

    Die Amygdala ist bei Konservativen wesentlich aktiver als bei fortschrittlich denkenden Menschen.

     

    Daraus folgt: Der Konservative wird durch seine Ängste dominiert. Die aggressive Großmäuligkeit so mancher Konservativer ist also nur der hilflose Versuch ihre kognitive Dissonanz aufzulösen.

  • A
    anke

    Ganz genau. Wenn zwei sich (bei Tisch oder wo auch immer) streiten und keiner von beiden verliert, dann gewinnen alle. Vor allem die, die gar nicht mitreden. Die nämlich sind ab sofort frei in ihrer eigenen Entscheidung. Sie können sich das, was am besten zu ihnen passt, heraussuchen aus den Argumenten der Streithähne, und daraus eine ganz eigene Wahrheit häkeln. Was braucht es mehr zum Fortschritt? Und was braucht es mehr, wenn Gutes konserviert werden soll?