Kolumne Konservativ: Stalin, Mao und ein Ideal
„Was ist konservativ?“, fragt die Publizistin Bettina Röhl. Und liefert eine Antwort, die zumindest sie logisch findet: Idealbilder, die nicht utopisch sind.
V ergessen Sie, was Sie über Konservatismus zu wissen glaubten. Die Publizistin Bettina Röhl liefert eine neue Definition. Dabei rückt sie einiges gerade. Auch Dinge, von denen ich nicht wusste, dass sie schief hingen.
„Was ist konservativ?“, fragt Röhl in ihrer Kolumne auf der Internetseite der Wirtschaftswoche. Die Tochter Ulrike Meinhofs versteht sich als Konservative. Was antwortet jemand, der beide Seiten des alten ideologischen Grabens kennt?
„Konservativismus ist also im Prinzip eine systematisch vorgehende, eine im historischen Kontext denkende Herangehensweise. Und zwar eine Herangehensweise an die Menschen, die Gesellschaft und die Welt. Konservativismus ist demnach eine wissenschaftliche Methodik mit Herz und Verstand.“ Und ich dachte, das nähmen die Traditionsgegner des Konservativen in Anspruch: Sozialismus und Kommunismus.
Da lag ich falsch. Denn Röhl fährt fort: „Vergessen Sie unbedingt den fanatischen und grenzenlos ideologischen, sich irreführend wissenschaftlich nennenden Sozialismus! Sozialismus ist Fiktion, ein Ersatz für irgendeine furchtbare, aber für edel und hehr erklärte Scheinrealität, Utopie genannt.“ Eine Utopie, dachte ich, ist ein gesellschaftliches Idealbild. Konservative aber misstrauen Idealbildern. Aber auch da lag ich falsch.
Bessermachen ist das neue Konservativ
Denn „Konservativismus ist ein Ideal“, schreibt Röhl. „Dieses Ideal verpflichtet dazu, permanent in inspirierter, empathischer, kreativer, und […] informierter Weise darüber nachzudenken, was kann man, was kann ich, besser machen. Im Bessermachen (wollen) liegt bereits der Kern des Konservativismus.“ Und ich glaubte, die Bewahrung des Bestehenden sei konservativ.
Über Röhl schrieb Spiegel Online einst: „Wegen ihrer Kindheit unter der RAF-Frau Meinhof hasst sie alles, was links ist, fühlt sich von Kommunisten umzingelt.“ Falsch. Denn Röhl schreibt: „Konservativ sein ist eine menschliche Eigenschaft, eine humanistische Haltung, die das Leben licht, warm, froh und nachhaltig werden lässt.“
Weil ihr Leben voller Licht, Wärme und Nachhaltigkeit ist, ist Röhl bereit zum Dialog: „Konservative lehnen Ideologien nicht einfach ab, sondern setzen sich mit ihnen kritisch auseinander und führen sie aus einer überlegenen Position heraus ad absurdum.“ Genau: Sie gehen unvoreingenommen auf Leute zu, von denen sie von vornherein wissen, dass sie Unrecht haben.
Diese Unvoreingenommenheit fehlt Linken: „Das heutige furchtbare ’Gesellschaftsspiel‘, dass die geistigen Enkel und Urenkel Mao Tse Tungs und Stalins im linken Mainstream mit dem Begriff ’Rechts‘ alles nicht Linke als braun mindestens bemakelt attackieren, ist ein permanenter unmoralischer Angriff auf diese Gesellschaft als Ganze.“ Genau: Rufmörderische Verbindungen zu ziehen zwischen massenmörderischen Diktatoren und heutigen Personen, ist schändlich. Wann merken Maoisten und Stalinisten das endlich?
Röhl ist da anders. Dem Konservativen „geht es um das Argument. Er ficht mit dem Instrumentarium der Logik.“ Und manchmal unterliegt in dem Duell die Logik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland