Kolumne Konservativ: Konservativ, gläubig, dumm?

Je intelligenter und glaubensferner ein Mensch, desto progressiver sei er, behauptet ein US-Forscher. Ich habe da ein paar Fragen.

Anschluss unter dieser Nummer? Besucher des Burning Man-Festivals 2013. Bild: reuters

Bevor diese Kolumne beginnt, möchte ich Ihnen sagen: Ich bin progressiv und nicht gläubig. Wollte ich nur mal klarstellen. Jetzt kann’s losgehen.

Der Psychologe Satoshi Kanazawa von der London School of Economics will etwas Außerordentliches entdeckt haben. In einem Fachmagazin veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel „Why Liberals And Atheists Are More Intelligent“.

Kanazawa argumentiert: Menschen seien evolutionär darauf programmiert, konservativ zu sein und sich vor allem um ihre Familie und Freunde zu kümmern. Wenn Menschen über darüber hinausgehende intellektuelle Ressourcen verfügen, seien sie in der Lage, sich auch um genetisch nicht mit ihnen Verwandte zu kümmern oder sie in ihren Taten zu berücksichtigen. Sie würden „liberals“, zu Deutsch etwa „Progressive“.

Kurzum: Sozialstaat und Fürsorge als Zeichen von Intelligenz. Im Deutschen ist das Wort „liberal“ ja auf eine Art besetzt, die nicht ganz so doll zu Sozialstaat und Fürsorge passt.

Paranoide Humanoide

Dasselbe Muster sieht Kanazawa beim Thema Glauben am Werk. „Menschen sind evolutionär dazu geformt, paranoid zu sein, und sie glauben an Gott, weil sie paranoid sind.“ Hinter bedrohlichen Ereignissen, die sich Menschen nicht erklären konnten, vermuteten sie daher die strafende Hand Gottes. Intelligentere Kinder könnten diese evolutionäre Prägung heute aber hinter sich lassen und zu Atheisten heranwachsen.

Kanazawas Antwort auf die jahrtausendealte Frage, ob es einen Gott gibt, lautet also: Wer an Gott glaubt, ist doof. Friedrich Nietzsche hätte das vermutlich elaborierter formuliert.

Ergebnisse einer amerikanischen Langzeitstudie scheinen dem Psychologen Recht zu geben. In der Studie mit 15.000 Teilnehmern hatten junge Leute, die sich als „sehr konservativ“ bezeichneten, im Schnitt einen IQ von 95 – fünf Punkte weniger als der Durchschnitt. Ihre Altersgenossen, die sich als „sehr progressiv“ ansahen, kamen auf 106 Punkte. Die sich als „überhaupt nicht religiös“ bezeichneten, hatten im Schnitt 103 IQ-Punkte, die „sehr religiösen“ nur 97.

Ich habe da ein paar Fragen. Sind Konservative wirklich dümmer? Oder behaupten Dumme, sie seien konservativ, um ihre angeborenen Verhaltensweisen mit einem wohlklingenden Etikett zu versehen?

Doppelte Dummheit

Wenn Gottglaube und Verharren beim evolutionär Programmierten Zeichen von Dummheit sind: Sind die Grünen, die den Artenreichtum der Evolution und die „Schöpfung“ bewahren wollen, dann Opfer doppelter Dummheit? Oder einer Identitätsstörung? Oder von beidem?

Behaupte ich bloß, progressiv zu sein, weil ich glaube, dass mir dieses Etikett schmeichelt? Verhalten sich Leute, die sich als konservativ ansehen, auch konservativ? Und Progressive progressiv?

„Selig sind, die da geistlich arm sind“, steht in der Luther-Bibel. Schlägt Gott die Ungläubigen also mit Intelligenz?

All das würde ich Kanazawa gern fragen. Aber ich lasse es sein. Er hat nämlich auch einen Aufsatz veröffentlicht unter dem Titel „Why Are Black Women Less Physically Attractive Than Other Women?“ Der Mann ist offenbar ziemlich konservativ.

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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