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Kolumne KonservativIch bin das Volk

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Pegida und die AfD gerieren sich als Stimme des Volkes. Das ist gelogen. Ich kann das viel besser – und ganz einfach beweisen.

Wer ist hier das Volk? Bild: dpa

B itte glauben Sie dieser Zeitung nicht. Oder irgendeiner anderen Zeitung. Die Systemmedien wollen Ihnen neuerdings einreden, jeder dritte Deutsche teile die Ansicht des Bündnisses Pegida, es gebe eine zunehmende Islamisierung Deutschlands. Das ist gelogen. Ebenso wie die Rufe der Dresdner Demonstranten „Wir sind das Volk!“. Ich muss es wissen. Denn das Volk, liebe Leserin und lieber Leser, das bin in Wahrheit ich.

Das kann ich ganz einfach beweisen. „Das Volk“ muss nicht die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Man muss es nur behaupten. Die AfD hat es vorgemacht. Sie nimmt für sich in Anspruch, den „gesunden Menschenverstand“ und „richtige“ politische Inhalte zu vertreten. Wer das bezweifelt, beweist laut AfD nur seine Voreingenommenheit, hat also Unrecht. Und wenn jemand anderes Unrecht hat, hat die AfD Recht. Das nennt man logisches Denken.

Bei mir – dem Volk – ist das genauso: Die Mainstream-Medien schweigen mich tot. Wirklich. Kann man überall nachlesen.

Aber so ist sie halt, die Systempresse. Nur, weil ich die Anwesenheit von Leuten, die anders sind als ich, nicht ertrage, gelte ich als intolerant. Dabei wird „Toleranz“ bei mir großgeschrieben, denn es ist ein Substantiv.

Ich bin auch nicht radikal

Ich bin auch nicht radikal. Denn wer hierzulande als radikal gilt, ist ibääh. Und weil ich das nicht sein möchte, bin ich auch nicht radikal. Das nennt man gesunder Menschenverstand. Wer das nicht glaubt, dem sollte man den Mund verbieten. Abführen, einsperren, Schlüssel wegwerfen. Meine Meinung. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Ist schließlich immer noch ein freies Land.

Die Mainstream-Medien geben schon lange nicht mehr meine Meinung wieder. Laut einer Umfrage des ARD-Deutschland-Trends sind 3 Prozent der Bevölkerung sehr zufrieden und 50 Prozent zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Wie kommen diese Leute dazu, eine andere Meinung zu haben als ich? Was ist denn das für ein Demokratieverständnis?

Aber ich durchschaue, was dahintersteckt: Bei dieser Umfrage hat mich nämlich niemand gefragt. Dabei bin ich das Volk. Etwas stimmt da also nicht. Das ist eine Verschwörung von Systemmedien, CIA und Powerpoint-Präsentations-Industrie. Dass ich dafür keine Beweise vorlegen kann, zeigt, wie geschickt die Intrige gesponnen ist. Ich verwahre mich entschieden gegen Stimmen, die behaupten, ich durchliefe eine akute psychotische Phase. Das ist Unsinn. Diese Stimmen sind schließlich nur in meinem Kopf.

Ach, ich hasse den Mainstream

Ach, ich hasse den Mainstream. Vor allem hasse ich es, dass ich ihn nicht beherrsche. Den Mainstream-Medien zufolge belegen Statistiken, dass die Menschen in vielen Dingen eine andere Meinung haben als ich. Aber Zahlen darf man nicht trauen. 78 Prozent der Leute wissen das.

Kommt bei einer Abstimmung etwas anderes heraus, als ich will, ist das undemokratisch und zeigt nur die Verlogenheit der Politik. Die da oben haben etwas Wichtiges vergessen: Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Und das bin ich.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.
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11 Kommentare

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  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Das nennt man gesunder Menschenverstand"

     

    Nee, den hat auch ein ignorant-arroganter Surfer und "braver Bürger auf dem Zeitgeist nicht, sondern auch nur das "gesunde" Konkurrenzdenken, für den bewußtseinsbetäubten Konsum- und Profitautismus des nun "freiheitlichen" Wettbewerb um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" - der stumpf-, blöd- und (wachstums-)wahnsinnige Kreislauf des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies"! ;-)

    • @688 (Profil gelöscht):

      Nee, schon seit vielen, vielen Jahren heißt es: "Sozial ist, wer Arbeit hat!" und "Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit!" sowie "Die Ausländer nehmen die Arbeitsplätze weg!".

       

      Mehr Sprüche aus der "Mitte der Gesellschaft"? Ach ja, dieser: "Vor der 'Rentnerrepublik Deutschland' muß gewarnt werden!". Jüngster FDP-Spruch!

  • Anfang Februar 2015 findet in Berlin die "Berlinale 2015" statt. Auch mit vielen Fremden, Ausländern, Muslime, Buddhisten, Hindus ...

     

    Wie wäre es, wenn die taz im Hause und in der Genossenschaft etwas sammelt und ein paar Freikarten für die "Berlinale 2015" an die Berliner Flüchtlinge in den Camps und Wohnheimen verteilt oder verlost? Zwecks europäisches und deutsches "Kulturtanken"? Ach ja, und die Kinder, es gibt auch ein Filmprogramm für Kinder!

     

    Die Tickets sind ja nun nicht gerade billig und einfach zu bekommen, nicht?

  • Super Kommentar!

     

    So kann man die Gedanken und Gefühle der PEGIDA-Spaziergänger wenigstens etwas nachvollziehen ;-)

  • Ok, ihr seid das Volk! Zu mehr hat's bei Euch eben nicht gereicht. So what!

    • @Rainer B.:

      Wen meinen Sie denn mit "ihr"? Denn wenn sich das auf die Aussage "Ich bin das Volk" aus diesem Artikel bezieht, würde ich sagen, hat der Autor damit wohl eher nicht für sich, oder die Taz, sondern für jeden einzelnen Menschen gesprochen um damit, wie es der letzte Satz ausdrückt, zu zeigen, das es "das Volk" eben nicht gibt, da dieses heteronomer ist, als es beispielsweise Afd oder Pegida gerne hätten. So verstehe ich zumindest diese Kolumne.

      • @Esama:

        Mit "ihr" sind natürlich die gemeint, die bei jeder Gelegenheit "Wir sind das Volk" rufen.

  • Das Blöde ist, dass die "System"-Medien in so offensichtlicher Weise versuchen, ihre Leser zu gängeln (Beispiele: tendenziöse Berichterstattung zur Ukraine-Krise, Abwertung der Partei DIE LINKE, unkritische Verteidigung des Neoliberalismus), dass viele Bürger diesen Medien wirklich nichts mehr glauben. Sie konsumieren die Erzeugnisse der Journalisten, weil sie deren Unterhaltungswert schätzen, aber nicht mehr, weil sie sich an ihnen orientieren.

  • Sehr treffend.

    Mir stellen sich daraus folgernd zwei Fragen:

    - Wie entstand dieses Mißtrauen, bzw. die Egozentrik?

    - Wie kommt man da wieder raus?

     

    Wie das Mißtrauen entstand kann ich mir so halbwegs zusammenreimen. Ich glaube auch nicht, daß die Regierung für Deutschland arbeitet. Sie ist mittlerweile eher eine europäische Regierung. Sollte das der Fall sein, können wir Berlin abschaffen. Kost nur Geld, bringt nichts.

    Womit ich allerdings meine Schwierigkeiten habe, ist der Trugschluss, daß der Islam oder der Asyl beantragende Schwarze für die finanzielle Situation verantwortlich sein soll und somit bekämpft werden muß.. Der Islam/Asylant ist nicht der Grund für die diversen europäischen Staatspleiten, die Autobahnmaut, die kalte Progression, die Verlegung der Produktionen ins Ausland, das sparen an und in der Bildung und und und.

     

    Um die Ich-Bezogenheit zu beseitigen, müßten die Menschen wieder Vertrauen in die Politik bekommen. Das bedeutet allerdings, daß die Politik dazu übergehen müßte populistische Forderungen zu erfüllen. DANN und nur dann wird das AfD/Pegida Volk wieder zufrieden sein.

    Das kann doch nicht gut gehen.

    Oder hat jemand eine andere Idee?

     

    Ich denke auch nicht, daß diese 15.000 der repräsentative Querschnitt sind. Wie bekommt man allerdings die restlichen rund 79.985.000 dazu dem Pegida Pack zu zeigen wo sie stehen?

  • Matthias Lohre -

     

    Ich bin Volker -

    (copyright - 1989 im Tal der Ahnungslosen;)