Kolumne Immer bereit: Wildes, buntes, blinkendes Pankow
27 Jahre hat es gedauert, bis die Mauer zwischen Pankow und Wedding bröckelte, mittlerweile dudelt auch Tarkan-Pop auf den Wiesen im Bürgerpark.
J etzt passiert es. Die Mauer bröckelt. Die unsichtbare Mauer am S-Bahnhof Wollankstraße, die die Grenze zwischen den Bezirken Pankow und Wedding markiert. Nur 27 Jahre hat es gedauert seit jenem 9. November. Das ist die durchschnittliche Lebenserwartung mancher Popstars heutzutage.
Jetzt endlich leben nicht mehr nur ausschließlich Menschen mit weißer Hautfarbe in Pankow.
Der Bezirk Pankow war immer weiß, solange ich denken kann. In den Neunzigern wohnten hier die Punks, die Nazis, die Intellektuellen, ehemalige DDR-Bonzen und Hippies. Hippies und Punks waren die Kinder der Intellektuellen, die die Kinder der Bonzen waren. Die Nazis waren die Kinder der Arbeiter, Arbeitslosen und Amnestierten der DDR von 1987 und ’89, die auf der anderen Seite der Berliner Straße wohnten. Die Punks und Hippies gingen aufs Gymnasium, die Nazis auf die Hauptschule. So einfach war die Welt. Und so weiß.
Ich wohnte damals in Prenzlauer Berg, aber die Leute in Pankow waren irgendwie cooler, radikaler, die Punks punkiger und die Hippies schöner.
Fast zu Tode gegruselt
Letzte Woche haben Paul und ich endlich den ersten NSU-Film in der Mediathek geguckt. Ich habe mich fast zu Tode gegruselt. Ich erinnerte mich wieder an das Gefühl der Beklemmung, wenn wir als Jugendliche mit Schlaghose und Che-Guevara-Sternchen auf der Mütze in einer größeren Gruppe mit der S-Bahn Richtung Bernau fuhren und Greifswalder Straße plötzlich Typen in Bomberjacken einstiegen.
Wedding war von der Florastraße zwar nur einen Steinwurf entfernt, aber niemals kamen wir auf die Idee, der Wollankstraße jenseits des gleichnamigen S-Bahnhofs einen Besuch abzustatten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich wusste, dass dort Wedding anfängt. Für mich war das einfach Westen. Wilder, bunter, blinkender Westen. Mit fremden Sprachen, neuen Gerüchen und anderen Gesichtern.
Mitte der Achtziger hatten sich meine Eltern ganz in der Nähe des Bahnhofs mal eine Wohnung angeguckt. „Da war damals absolut tote Hose“, sagt meine Mutter. Heute ist an der Ecke jeden Tag Stau.
Nach der Jahrtausendwende, nachdem wir alle mit der Schule fertig waren, zogen die ersten Leute, die ich kannte, nach Wedding, meist in WGs mit Zugezogenen, die aus Westdeutschland kamen. Für die waren die neonbeleuchteten Läden mit türkischen Männern, die um Sprelacart-Tische saßen und Backgammon spielten, nichts Besonderes. Die Wohnungen in Wedding waren riesig, die Mieten günstig und die Hausverwaltungen auf beiden Augen blind. Ich kenne WGs, in denen Wände versetzt wurden und Küchen zu Clubs umgebaut. Es war die reine Freude!
Homogener als Flensburg
Paul hatte seine erste WG auch in Wedding, als er aus Flensburg nach Berlin kam. Da kannten wir uns noch nicht. Er fand es eher merkwürdig, als er später nach Friedrichshain umzog: „So homogen war in Flensburg nicht mal die Vorstadt gewesen, wo meine Eltern wohnten.“
Flensburg war in den Neunzigern eher in linker Hand. „Da mussten die Nazis Angst haben, sich im Stadtzentrum zu zeigen“, sagt Paul.
Als ich vor zwölf Jahren nach Pankow zog, steckte die Gentrifizierung hier noch in den Kinderschuhen. Als Paul und ich vier Jahre später zusammenkamen, gruselte er sich noch vor den Jungs mit den Springerstiefeln am Bahnhof Pankow.
Mittlerweile sind die Mieten in Pankow so gestiegen, dass die Leute mit den Bomberjacken sich die Wohnungen hier nicht mehr leisten können. Vielleicht sind sie auch nur von den überdimensionierten Fahrradständern verdrängt worden, die jetzt am Bahnhof rumstehen. Oder sie haben einfach die Klamotten gewechselt. Meine Schlaghose ist ja auch eingemottet.
Nun endlich schwinden die Schwellenängste von Weddinger Seite. In der Umkleide vom Fitnessstudio wird mittlerweile auch Türkisch gesprochen, und auf den Wiesen im Bürgerpark dudelt Tarkan-Pop aus Handylautsprechern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!