Kolumne Immer Bereit: Return of the Betriebsweihnachtsfeier
Weihnachtsfeiern folgen einer Choreografie. Dazu gehören: wenig Essen, laute Musik, Unmengen Alkohol – und dann sagen die Kollegen, was sie wirklich von einem halten.
Ich liebe Weihnachtsfeiern. Das einzig wirklich Tolle am Freischaffendsein ist doch, dass man auf allen Weihnachtsfeiern gleichzeitig tanzen darf. Je mehr Arbeitgeber, je prekärer die Jobs, desto größer die Partys.
Betriebsweihnachtsfeiern folgen, wie jedes wichtige gesellschaftliche Ereignis, einer festgelegten Choreografie. Die Haupttagesordnungspunkte sind: wenig Essen, laute Musik und Unmengen Alkohol. Dadurch werden alle Beteiligten sehr schnell besoffen, und dann wird es lustig. Dann endlich sagen einem die Kollegen mal, was sie wirklich von einem halten. Normalerweise war es immer so, dass man sich zu Beginn des Abends gegenseitig für Texte lobte, am Ende knutschend in einer Ecke lag und zwischendurch tanzte, dass die Knöchel krachten. Auf den Weihnachtsfeiern eins bis drei klappte das letztes Jahr ganz ausgezeichnet, nur Nummer vier ging in die Hose. Und das lag, wie so oft, an den Tücken zwischenmenschlicher Kommunikation.
Da robbte sich nämlich gleich zu Beginn ein Kollege von der Seite an mich heran und erklärte mir erstens, wenn er mich nicht so sympathisch fände, hätte er ja längst versucht, mir beruflich zu schaden. Ich dachte, ich hör nicht richtig. Der Kollege war nicht viel älter als ich und seine Position in der Firma nur unwesentlich sicherer als meine. „Aber weißt du“, fügte er hinzu, wie um mich zu trösten, „jeden fünften Text von dir finde ich richtig gut.“ Komplimente aus der Hölle, dachte ich und fing an zu lachen. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob der Kollege nicht einfach zu besoffen war, um zu merken, was er da sagte.
Ich wollte weggehen, um nicht noch weiter beleidigt zu werden, aber er war noch nicht fertig mit seinen guten Ratschlägen: „Und außerdem“, sagte er und nahm ein Schluck von seinem alkoholischen Kaltgetränk, „außerdem finde ich, solltest du nicht immer sagen, dass du behindert bist.“ Ich starrte ihn an. „Ich bin aber behindert“, sagte ich. Und als wäre dies wirklich das einzig schlagende Argument, erwiderte er: „Für mich bist du nicht behindert.“ Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viel Ego in einen einzigen Menschen hineinpasst.
Es gibt in der Komiktheorie den sogenannten Dreischritt des Komischen. Jedes Missgeschick wiederholt sich zweimal in sich steigernden Variationen, um beim dritten Mal in einer absoluten Katastrophe zu kulminieren. Das nennt man dann Pointe.
Der Kollege hatte mir erst gedroht, mich dann beleidigt und wollte mir jetzt auch noch einen Teil meiner Identität absprechen. Das versprach ja eine großartige Weihnachtsfeier zu werden.
Er erklärte mir ganz vernünftig, dass das Wort „behindert“ für ihn so einen negativen Beiklang hätte. „Es ist aber kein Schimpfwort“, sagte ich, „es wird nur so benutzt.“ – „Aber du hast doch gar nichts“, sagte er, „nur den kleinen Gehfehler.“ Ich sah ihn an. Ich kenne Leute, die würden sich auf so eine Diskussion überhaupt nicht einlassen, und sie tun vermutlich recht damit, weil solche Diskussionen mühsam sind und oft zu keinem Ergebnis führen. Ich sah ihn an, bestellte mir ein Bier, nahm einen tiefen Schluck und dachte: Ach, was soll’s, vielleicht kann ich später mal einen Text drüber schreiben. Dann sagte ich: „Dieser ‚kleine Gehfehler‘, wie du ihn nennst, macht, dass ich weder so schnell noch so weit laufen kann wie andere, dass ich leicht das Gleichgewicht verliere und keine schweren Lasten tragen darf, dass ich also, wenn ich allein mit einem Koffer in der Stadt unterwegs bin, der Fahrstuhl kaputt ist und keine Rolltreppe vorhanden, auf fremde Hilfe angewiesen bin.“ Er guckte mich an, lächelte schief und sagte: „Aber dir würde doch jeder helfen.“
Ich erklärte ihm geduldig, wie erniedrigend es ist, ständig Bittstellerin zu sein, und dass mein Schwerbehindertenausweis mir das Recht verleiht, Hilfestellung juristisch einzuklagen. Genau das enthebt mich dem unterlegenen Status und sorgt für einen Ausgleich. Ich nahm einen Schluck aus meiner Flasche. „Was dein Unbehagen an dem Wort ‚behindert‘ angeht, befindest du dich übrigens in guter Gesellschaft. Es ist das Unbehagen derjenigen, die so sehr der Norm entsprechen, dass sie nur durch die Begegnung mit Leuten, die irgendwie anders sind, überhaupt auf die Existenz einer Norm hingewiesen werden. Das Unbehagen daran, bessergestellt zu sein als das benachteiligte Gegenüber, soll dann kurzerhand mit der Verneinung der Ungerechtigkeit beseitigt werden. Völlig normaler Vorgang. Ändert nur leider nichts an der gesellschaftlichen Realität.“
Ich hatte ausgetrunken. Der Kollege schwieg. Ich ging tanzen. Sowieso das Beste, was man auf Weihnachtsfeiern tun kann.
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