piwik no script img

Kolumne Im AugenblickWie ich lernte, „Bitte Arbeit“ zu sagen

Kolumne
von Ismail Ismail

Die meisten Geflüchteten fangen in Deutschland bei Null an. Die Jobcenter kennen keine Geduld. Dabei wären mehr Fort- und Ausbildungsmöglichkeiten ein Segen.

In Syrien Jurist, in Deutschland Pizza-Bote: So oder so ähnlich geht es vielen Geflüchteten Foto: dpa

B itte Arbeit!“ wären die ersten Wörter vieler nach Deutschland geflüchteten Menschen, hat Andrea Nahles gesagt, als sie noch Bundesarbeitsministerin war. Ich habe einige Bekannte nach ihren ersten Wörtern auf Deutsch gefragt. Die Antworten waren: „Vogelscheuche“, „Knallerfrauen“, „essen“, „Spaß“, „Jawohl“, „Arsch“. Meine waren: „Warum nicht?“

Nahles Äußerungen bezogen sich auf die neuen Integrationsgesetze, die den Eingang in den Arbeitsmarkt für nach Deutschland geflüchtete Menschen erleichtern. Asylsuchende, die gute Bleibeperspektive haben, weil sie aus Iran, Irak, Eritrea, Syrien und Somalia kommen, sollen schnelleren Zugang zu Integrationskursen kriegen und dann schneller in den Arbeitsmarkt eingespeist werden oder eine Berufsausbildung anfangen.

Die Frage ist aber, ob dabei ihr Wille gewahrt wird: Zuerst müssen sie Sprachkurse besuchen, die maximal 900 Unterrichtseinheiten umfassen: 900 Unterrichtseinheiten, um auf B1-Niveau zu kommen, ohne Rücksicht auf die Qualität der Kurse oder die Lernkapazität der Teilnehmer*innen.

Ständig teilen meine Freunde mir mit, wie miserabel ihre Kurse sind. Einige müssen die B1-Prüfung ablegen, obwohl sie gerade erst mit den A2-Büchern fertig sind. Während meiner Tätigkeit bei der VHS als ehrenamtlicher Deutschlehrer habe ich auch mitbekommen, wie manche Lehrkräfte sich von den Teilnehmer*innen Kurdisch oder Arabisch beibringen ließen, natürlich im Rahmen von deren 900 Unterrichtseinheiten.

Bild: Omar Akahare
Ismail Ismail

Ismail Ismail pendelt zwischen Lüneburg, Oldenburg und Hannover, wo er sich auf sein Studium vorbereitet. Was ihm unterwegs widerfährt und wem er begegnet, schreibt er hier auf.

Nur, wenn Mensch mit der Sprache angeblich fertig ist, ist Mensch bereit für den Arbeitsmarkt oder eine Berufsausbildung. Die Entscheidung muss aber zügig getroffen werden, da das Jobcenter keine Geduld zeigt, weder mit Deutschen noch mit Geflüchteten. Dabei sind die Geflüchteten klar benachteiligt, wenn es darum geht, zügig eine geeignete Arbeit zu finden.

Ein Bekannter, der in Syrien jahrelang im Personalrat arbeitete, wurde vom Jobcenter zur Amazon-Filiale in Winsen (Luhe) geschickt. Nachdem die ihm dort klar gemacht hatten, dass sie ihm nur einen Job als Versandmitarbeiter anbieten können, hat er das Angebot zurückgewiesen. In der Folge wurden seine Geldleistungen vom Jobcenter gekürzt. Beim nächsten Mal wird er zweimal darüber nachdenken, bevor er ein Arbeitsangebot vom Jobcenter ablehnt: Dem ist egal, ob große Konzerne ihn nur ausnutzen.

Ein anderer arbeitet in einem Restaurant in Lüneburg als Kellner. In Syrien war er Zahnarzt: Die Anerkennung seines Abschlusses wäre ein zu großer Aufwand gewesen. Nächstes Beispiel: Ein Freund, der in Syrien Jura studiert und jahrelang als Zollbeamter gearbeitet hat. Er arbeitet jetzt in einem Pizzalieferdienst. Er hat aufgegeben, vom Jobcenter eine Unterstützung bei der Suche nach einem Job zu erhoffen, der zu seiner Ausbildung passt.

Mal abgesehen davon, ob „Integration“ an sich das Optimale für ein Zusammenleben ist: Immer wieder wird sie mit Arbeit verknüpft. Da frage ich mich, welche Integration soll stattfinden, wenn Mensch bei Amazon acht Stunden bloß die Arbeit erledigt, die Maschinen noch nicht leisten können. Klar: Wenn sich Geflüchtete in Deutschland niederlassen, müssen sie hier auch selbstständig leben können. Aber es muss auch berücksichtigt werden, dass sie wegen eines meist schrecklichen Grundes aus ihren Ländern fliehen mussten. Großteils fangen sie von Null an. Mehr Chancen wären von Nutzen, mehr Fort- und Ausbildungsmöglichkeiten ein Segen.

Was mich vor allem nachdenklich macht, ist, warum Geflüchteten die Wege zum Arbeitsmarkt so leicht gemacht werden, nicht aber die zum Studium oder zur nicht beruflichen Bildung. Wäre Integration durch Studium nicht effektiver?

Die meisten Geflüchteten haben meiner Beobachtung nach die Gleichsetzung von Integration und Arbeit schon verinnerlicht, wie eine fixe Idee, als Pflicht zu arbeiten: Sie müssen arbeiten, und wenn sie nicht arbeiten, müssen sie sich schämen. Jedes Mal, wenn ich Slogans, Sprüche und Zitate von Politiker*innen zu Geflüchteten und Arbeit lese, glaube ich besser zu verstehen, welche humanitären Gründe es waren, die Deutschland dazu gebracht haben, so viele Geflüchtete aufzunehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ahlan Sahlan in Deutschland: Das beste Produkt der Politik der letzten Jahre ist das Jobcenter. Damit machen Leute wie Schröder und Merkel die Menschen so klein, dass sie ihre ultra-regiden Ideen von Politik gegen jeden schwachen Menschen durchsetzen können.

    Das Paradies Almanya ist am Jobcenter ein Alptraum und der Ausweg heißt Arbeiten gehen, egal für wen und für was - Bezahlung? Auch egal, in diesem Land darf man €8,75 por Stunde bezahlen und ist dann ein gutes Unternehmen, weil es gesetzestreu ist. Das Gute an Almanya ist, dass jeder hier beim Jobcenter antanzen muss, außer den Reichen, die dürfen nicht hin, vermutlich wollen sie aber auch nicht dorthin.

  • 0G
    0981 (Profil gelöscht)

    Das ist hier so. Ein einheimischer Akademiker der keinen Job findet der seiner Ausbildung entspricht muss auch Taxi fahren oder Pizza ausliefern.

     

    Es ist natürlich nicht schön wenn ein Zahnarzt als Kellner arbeiten muss. Aber wäre es denn wirklich besser er würde von der Allgemeinheit über Jahre finanziert werden müssen bis seine Sprachkenntnisse soweit sind und ggf. Weiterbildungen durchgeführt wurden um Ihn auf den Stand zu bringen den ein Zahnarzt hier haben muss?

    • @0981 (Profil gelöscht):

      Aber wer kann denn sicher dauerfahft als Takifahrer*in oder Pizzabot*in arbeiten? Die meisten werden über die Jahre immer wieder zum Jobcenter müssen, da sie befristet arbeiten oder weil das Gehalt nicht reicht. Da ist es doch sicherlich sinnvoller, die Leute sprachlich und beruflich weiterzuqualifizieren, so dass sie dann unabhängig sind, Steuern zahlen, in die Krankenkassen zahlen usw. Wer dauerhaft von Arbeitslosigkeit bedroht ist oder immer wieder vom Amt abhängig ist, droht auch gesundheitlich schneller zu erkranken. Das kostet dann auch wieder dem Staat.

      Kluge Köpfe sind immer wichtig für einen Staat. Zudem ist das doch voll praktisch gerade für Deutschland: Die Ausbildung/das Studium wurde zumeist schon von anderen Staaten finanziert und die Arbeitskraft kommt dann nach Deutschland. Wer soll denn in Zukunft den Staat (Bildung, Renten, etc.) mitfinanzieren? Menschen, die vom Jobcenter oder von Minijobs leben müssen.

      Was bringt es dem Staat Armut zu produzieren? Muss die Schere noch mehr auseinander gehen? Dies gilt ja für viele Menschen in Deutschland, egal wie ihr Ausweis aussieht. Und das nur aus einer reinen ökonomischen und wenig menschlichen Sicht.

       

      Darüber hinaus sind dann auch die Kinder von diesen schlechten Bedingungen betroffen. Eh schon aufgrund der Sprache, des Aussehens oder einer Herkunft diskriminiert kommt dann auch noch eine Perspektivlosigkeit und Abhängigkeit hinzu.

       

      Sprache bedeutet Macht. Macht über das eigene Leben, anstatt Abhängigkeit und Ausbeutung. Sprache bedeutet Mündigkeit und Selbstbestimmung!