Kolumne Idole: Hefegesichter auf Horrorinseln
Was passiert, wenn Idole sich plötzlich gar nicht mehr wie Idole benehmen? Dann wird's traurig.
E igentlich wollte ich in dieser Kolumne den Typus des schnitzelgesichtigen Schauspielers rehabilitieren. Ob mir das allerdings gelingt, ist nach dem gestrigen Abend mehr als fraglich. Denn entgegen meinen großen Erwartungen an Leonardo DiCaprio in Martin Scorseses "Shutter Island" hat sich ein einstiges Beinahe-Idol als echtes Prachtexemplar dieser Gattung entpuppt. Und dabei wollte ich ihn doch mögen!
Aber mal der Reihe nach. Der Begriff "Schnitzelgesicht" stammt nicht von mir, sondern von einem meiner österreichischen Bekannten. Ich bevorzuge den Terminus "Hefegesicht", um Schauspieler wie Tom Hanks, Matt Damon und - seit gestern leider auch - Leonardo DiCaprio zu charakterisieren. Im Grunde sind es fast schon langweilige Durchschnittstypen, die zu Hollywoodstars aufgebaut wurden. Vielleicht weil sehr spezielle Charaktere weniger massentauglich sind. Auch in Deutschland gibt es Hefegesichter, man denke nur an Daniel Brühl.
In ihrer Jugend waren sie wendige Jüngelchen, mit einem Hunger in den Augen. Zumindest DiCaprio, in seinen ersten Filmen "This boy's life" oder "Gilbert Grape". Aber, mein Gott, da war er ja noch ein Kind. Heute haben diese drei Männer allesamt etwas Klopsiges. Ihr Gesicht gleicht einer beliebigen Masse. Formbar und teigig, mit vereinzelten Bartstoppeln darin. Und so können sie sowohl freundliche Milchgesichter als auch schwitzige Psychopathen gut darstellen. Und doch war bei DiCaprio immer wieder das Wendig-Hungrige aus Jugendtagen hervorgeblitzt. Ein Grund, warum ich ihn trotz seiner Hefigkeit schätzte.
Kirsten Reinhardt ist taz.de-Redakteurin.
"Du willst ,Shutter Island' sehen?", kommentierte eine Kollegin meine Abendplanung erstaunt, "Ich dachte, das sei dir zu mainstreamig!" Ich wurde nachdenklich. Bin ich eine von denen, die dünkelhaft nur das gut finden, das kaum einer kennt, um sich von der Blue-Man-Group-liebenden Masse abheben zu wollen? Ich mag Bob Dylan. Nicht gerade un-mainstreamig. Ich finde De Niro super. Wer nicht? Ich liebe die Beatles. Klassiker. Besonders innovativ bin ich nun wirklich nicht.
Aber die Kollegin hat recht, ich bin eine arrogantes Stück, und deshalb will ich jetzt weiter auf DiCaprio herumtrampeln. Und weil ich sauer bin. Mit "The Departed" war er in meine mentale Tolle-Schauspieler-Liste gerückt. Ich war bereit, ihn mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Und wenn so ein Österreicher ausrief: "Schnitzelgesicht!", dann gabs beinahe Handgreiflichkeiten. Bis gestern Abend.
Ich hatte mich auf einen sehr spannenden Kinoabend eingestellt und dann wars irgendwie langweilig. 138 Minuten wabert DiCaprio mit einem sich immer weiter ablösenden Pflaster an der Stirn über eine Insel, wobei ihm gestattet wird, seinen Blick nach und nach immer weiter ins Irre abgleiten zu lassen. (Immerhin ist er dabei nicht allein, so wie Tom Hanks in "Cast Away". Zugegeben, ich habe den Film nicht gesehen. Eineinhalb Stunden Tom Hanks auf einer einsamen Insel zuschauen, das würde ich nicht für viel Geld tun.)
Tja, wenn die eigenen Idole versagen, dann steht man plötzlich ganz schön allein da. Leonardo DiCaprio war das einzige Hefegesicht, das ich mochte. Denn im Gegensatz zu seinen Artgenossen war er nicht schon immer schlimm. Die Stärke eines Hefegesichtes ist ja, dass es in alle erdenklichen Genres passt, weil es so nichtssagend ist. Vielleicht liegt DiCaprios Herumgehefe also an Scorsese? Der Regisseur hat einfach nicht das Letzte aus seinem Schauspieler herausgeholt! Aber das wäre ebenfalls schrecklich. Denn Scorsese fand ich auch immer toll. Beinahe ein Idol. Bis jetzt.
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