Kolumne Ich meld mich: Die Fremden vom Mars
Diese Sommerfrischler, die damals bei meiner Tante auf den Hof kamen, die waren schon seltsam. Und man sah sie auch nie in der Kirche.
S ie hießen „die Fremden“ und waren irgendwann Anfang der 1960er Jahre auf dem Bauernhof meiner Tante angereist. „Sommerfrischler“ nannte man sie auch. Werner und Hotte waren große, blasse, leicht dickliche Männer, Marion hatte schwarz gefärbte Haare und Jutta die Lippen angemalt, auch unter der Woche.
Die Männer halfen beim Heuen, saßen schwitzend in Unterhemden bei der Brotzeit und mochten keinen Presssack. Ihre Schultern waren rot und schälten sich – was einem von uns nie passierte.
Heu aufladen sei eine klasse Arbeit, fanden sie, ganz anders als zu Hause, wo sie einen Kilometer tief in der Erde herumwühlen müssten – was ihnen niemand richtig abnahm.
Die Frauen lagen meist in der Sonne und wuschen gelegentlich das Geschirr ab. Meine Tante spülte dann immer noch mal nach. Früh am Nachmittag tranken sie meist zusammen Bier, danach Obstler, manchmal mehr als eine Flasche. Dazu rauchten sie Zigaretten, bis die Luft blau war, und lachten so schrill, wie niemand im Dorf sich zu lachen getraut hätte.
Im Urlaub bestehe sie immer auf getrennten Betten, kreischte Jutta einmal. Da mache sie „den Kram“ nicht mit – und ich verstand nicht, warum meine Tante rot wurde.
Das Verrückteste aber war: Die Männer spielten Fußball. Erwachsene Menschen, die besser dribbelten als wir Kinder – wie sollte man sie ernst nehmen? Und sie erzählten, dass sie am Wochenende tatsächlich ins Stadion gingen. Es gab Borussia Dortmund also wirklich.
Manchmal lud die Tante Verwandte ein, um mit den Fremden zu feiern und sie zu bestaunen: Was es doch für Menschen gibt – angeblich mitten in Deutschland! Sie waren aufregend. Und nicht ganz wirklich. Nie sah man einen von ihnen in der Kirche.
Auch deshalb hätte man sie nicht immer im Dorf haben wollen. Sie brachten etwas Unheimliches mit – eine Ahnung, dass es da draußen noch ein anderes Leben geben könnte. Manchmal, wenn ich bei einem Bauern in Anatolien zu Gast bin oder Kinder in Nepal dem Bus hinterherwinken, fallen sie mir wieder ein, unsere Fremden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen