Kolumne Ich meld mich: Und wir fahrn, fahrn, fahrn …
Ronnys Traum: Über die deutsche Autobahn brettern. Freiheit ohne Tempolimit, grenzenlose Weite, das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken.
I n Ronnys Gesicht geht die Sonne auf. Schwungvoll knallt der Graubart im rot karierten Hemd seine Bierflasche auf den Bartresen in „Sinbads“ Hotel in Gander und haut mir beide Pranken auf die Schultern, dass ich in die Knie gehe. „Aus Deutschland?“ – darauf noch ein „Canadian“! Nächste Woche fliege er beruflich von Neufundland nach Deutschland.
Zum allerersten Mal, nach Hamburg, um genau zu sein. Nein, keine Reeperbahn, keine Biernächte bis zum Umfallen. Das Einzige, was er sich gönne, und das auf jeden Fall: Einen Morgen lang werde er sich einen BMW mieten und über die Autobahn brettern. Freiheit ohne Tempolimit, grenzenlose Weite, einmal im Leben das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken. Und wie müsse er das nun anstellen mit dem Bi-Äm-Dabbelju …„
Eine Woche später bin ich wieder im Norden Neufundlands unterwegs. Einsam schnurrt der gemietete Toyota durch das Grün, die Straße führt schnurgerade durch dunkle Wälder und Dörfer, die wie ausgestorben wirken. Acht Autos kommen mir auf den 70 Kilometern zwischen Gander und Farewell entgegen, ich selbst überhole niemanden, auch mich überholt keiner. Erlaubt sind 80 Kilometer – aber schneller zu fahren wäre auch verwegen: Jederzeit kann einer der mächtigen Elche über die Straße galoppieren.
Der Wagen gleitet unbeschwert dahin, das Radio spielt Rock, im Wasser spiegeln sich borstige Kiefern – und fast unmerklich wandern meine Gedanken hinüber nach Europa, zu Ronny, der vielleicht gerade heute aufgeregt in sein teures Mietauto gestiegen ist – und jetzt irgendwo hinter Moorfleet fassungslos auf all das Blech um ihn herum blickt und zu verstehen versucht, was ihm das Radio da erklärt: „A 1 Hamburg–Lübeck vier Kilometer zähfließender Verkehr zwischen Stapelfeld und Bargteheide, A 7 Hamburg–Flensburg zwischen Bahrenfeld und Schnelsen Stau nach einem Unfall, A 7 Hamburg–Hannover, zwischen Stillhorn und Maschen vier Kilometer Stop and Go, A 23 …„ Ach, Ronny. Manchmal führt ein Traum vom Regen richtig in die Traufe.
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