Kolumne Henningway: Die Stadt als Sportpark

Kniebeugen in der Öffentlichkeit sind peinlich. Der Architekt Jan Giehl gestaltet Städte für Fußgänger, Radfahrer und Sporttreibende um.

Ein Chinese macht Tai Chi im Ritan Park in Peking

„In Deutschland sehe ich keine Senioren in der Öffentlichkeit so selbstbewusst mit Grandezza turnen oder tanzen.“ In China schon. Chinesiches Tai Chi im Ritan Park in Peking. Foto: ap

Meiner Familie ist es immer sehr peinlich, wenn ich in der Öffentlichkeit meine Kniebeugen mache. In China, sage ich, machen das alle. Dort sind es sogar vornehmlich die Alten, die aktiv sind: Gymnastik, Tanz oder Tai-Chi, zu jeder Tageszeit und überall. Allein oder in der Gruppe stellen sie sich und ihr Tun den (imaginären) Blicken der anderen aus, vor Wohnanlagen, in Parks oder auf öffentlichen Plätzen.

Wie schön das aussieht, wie routiniert sie ihre Körper in Schwung bringen und halten! In Deutschland sehe ich keine Senioren in der Öffentlichkeit so selbstbewusst mit Grandezza turnen oder tanzen. Warum eigentlich nicht?

Wir denken unseren Sport in kulturellen Mustern und Konventionen. Wir packen unsere Sporttasche, um zum Sport zu gehen, oder wir joggen durch den Park. Das ist legitimiert. Doch geht einer zu Fuß quer durch die Stadt die zehn Kilometer nach Hause, anstatt sich mit den anderen in die Öffentlichen zu stopfen, dann wird er komisch angeguckt – ein irrer Stadtwanderer!

Handlungsraum für Bewegung und Spiel

Ganz schön wirksam, diese Gewohnheitsmuster des Sports. Sie gilt es zu durchschauen und durchbrechen! Räumliche Einladungen helfen dabei ungemein, dass mehr Menschen über Schwellen zu einem anderen In-der-Stadt-Sein gehen. Warum denken und entwickeln wir nicht gleich eine ganze Stadt als Sportpark und schaffen somit einen neuen Handlungsraum für Bewegung und Spiel? Monte Carlo rüstet sich für ein Autorennen einmal im Jahr zu einer Rennbahn um und jede Großstadt trägt ihren Marathon aus.

Henning Harnisch ist ehemaliger Basketballnationalspieler und Vizepräsident des Bundesligisten Alba Berlin. Er schreibt künftig hier jeden zweiten Donnerstag im Monat über die Bereiche Kultur, Sport und Pädagogik.

Doch um diese sportliche Wandlung der Städte für ein paar Tage geht es mir nicht: Hier soll die Rede von einer dauerhaften sportlichen Metamorphose der Städte sein, die den Alltag der Menschen betrifft. Wie sähe diese Stadt aus?

Der dänische Architekt und Städteplaner Jan Gehl sitzt seit den sechziger Jahren an der Idee und der Umsetzung davon. Er nennt seine Forschungsprojekte nicht Sportpark, meint jedoch dasselbe, wenn er Bücher schreibt, die programmatisch „Städte für Menschen“ oder „Leben zwischen Häusern“ heißen.

Ein besserer Ort für Fußgänger und Radfahrer

Unter anderen war er federführend daran beteiligt, Kopenhagen und Melbourne zu den lebens- und liebenswertesten Großstädten dieser Welt umzugestalten. Es geht ihm und seinem Team immer um die gleiche Ausgangsfrage: Wie kann aus jedweder Stadt ein besserer Ort für Fußgänger und Radfahrer werden, und wie können dadurch Städte lebenswerter werden?

Der menschliche Maßstab ist sein stadtplanerischer Maßstab – verrückt genug, dass das gesagt werden muss –, und so argumentiert er folgerichtig mit der menschlichen Schrittgeschwindigkeit von 5km/h gegen Verkehrsplanung rund ums Auto, die die Menschen von den Straßen verscheucht. Wie werden, fragt er, „die Menschen in Bewegung gesetzt?“ Etwa durch Fahrradachsen, welche die Peripherie mit dem Zentrum verbinden; oder durch Gehwege, die Orte und Parks verknüpfen. Das setzt die Stadt in Richtung Zukunft in Bewegung.

Im prosaischen Jetzt wandern wir auf Bürgersteigen, die im Nichts enden, oder radeln schüchtern auf Autostraßen in die Peripherie der Städte. Respektive wir gehen oder fahren wohl eher in die umgekehrte Richtung, aus der Peripherie ins unbezahlbare Museum der Innenstadt hinein.

Ich denke dabei an selbstbewusste chinesische Senioren, die noch in jeder Stadtwüste nonchalant ihre Körper schwingen. Und denke an Jan Gehls Bücher, die den Kopf öffnen und, ja, definitiv nicht jedes Stadtproblem lösen können. Aber eigentlich frage ich mich, warum der 81-jährige Gehl, der wirklich auf der ganzen Welt aktiv war und ist, noch nie in Deutschland mitgemischt hat?

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