Kolumne Helden der Bewegung: Der verworfene Prinz
Gute Geschichten leben davon, dass sich ihr Protagonist auch mal verschätzt. Die Karriere von Kevin-Prince ist ein reizvoller Roman.
E s ist so eine Sache mit den Gefühlen im Fußball. Ständig soll die Leidenschaft kochen und brutzeln, das Feuer brennen und verzehren, bei vollem Herz und leerem Kopf. Der Wille, der absolute, der soll sich Bahn brechen, das Herz, das große, das soll entscheidend sein.
Im Körper des Fußballers lebt die mittelalterliche Idee einer Anatomie weiter, die auf den griechischen Arzt Galen zurückgeht: die körperliche Überlegenheit des Mannes wird bedingt durch seine höhere Körpertemperatur. (Als Beweis wurde hier unter anderem der Samen aufgeführt, der als gekochtes Blut interpretiert wurde.) Der Körper des Fußballers transportiert ein althergebrachtes Männlichkeitsideal; er hat, wie Niko Kovac wahrscheinlich vier mal die Woche sagt, heiß zu sein.
Außer eben es wird eng, dann hat man kühlen Kopf zu bewahren, selbst wenn einem eine chiellineske Nase wächst darüber. Wenn man, zum Beispiel, gerade in der Nachspielzeit den Ausgleich gegen Borussia Dortmund erzielt hat: dann darf, ich reize die Metapher noch ein bisschen aus, nichts mehr anbrennen. Däumchen drehen statt am Rad.
Fußball ist ein eher spannungsarmer Mannschaftssport, nur selten kondensiert das Spiel zum Ende hin auf zwei, drei entscheidende Situationen; und wenn doch, hat meist die spielverhindernde Partei das letzte Wort. Gelingt ihr das nicht, will sie zu nah an die Sonne, killt sie ihre Hybris.
Eine melancholische Analyse
Zwei Situationen haben die Frankfurter ausgemacht, um die Niederlage in Dortmund zu erklären: einen Abschlag von Hradecky in die Mitte, der zum spielentscheidenden Gegentor führte; und, kurz zuvor, ein Einwurf von Kevin-Prince Boateng, den er nicht absichernd ausführte, sondern offensiv. Dann: Ballverlust, Gegenangriff, Tor Batshuayi.
Kleinigkeiten, sicherlich. Und doch entscheidend. Interessanter als die Fehler selbst stellen sich allerdings die Erklärungen dar, die die Frankfurter nachreichten.
Da war, zum einen, die – um bei Galen zu bleiben – melancholische Analyse Niko Kovacs. Ein solcher Abschlag dürfe nicht passieren, der müsse siebeneinhalb Meter seitlicher, da dürfe man Cleverness erwarten, sang froid, Überlegung. Darf nicht, soll nicht, ärgerlich.
Und da war zum anderen die sanguinische Sicht Boatengs, der seinen Einwurf und den sich daraus entwickelnden Ballverlust so erklärte: gewinnen habe er wollen, da sei er eben ins offensive Risiko gegangen, und dann habe schlussendlich das Glück gefehlt. Es ist also ein Fehler aus Leidenschaft gewesen.
Sein Karriereweg mäandert
Kovac wird immer wieder mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht, es wäre ein nächster Schritt auf der Trainerkarriereleiter. Erst RB Salzburg, dann die kroatische Nationalmannschaft, jetzt Frankfurt und morgen dann deutscher Abonnementmeister: in Kommentaren würde man das, sollte es so kommen, als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnen. Tatsächlich ist es eine Liste. Die reine Aufzählung lässt wenige Fragen offen, es geht immer ein Stückchen nach oben, das versteht sich von selbst: man kann die Leerstellen mit Gemeinplätzen füllen, es ist dies wohl die herausragendste Eigenschaft sogenannter Erfolgsgeschichten: sie sind langweilig.
Boatengs Karriere hingegen ist ein Roman: Hertha, Tottenham, Dortmund, Portsmouth, wo er gegen Michael Ballack das meistdiskutierte Foul seit Norbert Siegmann beging; AC Milan, Schalke, Las Palmas, nun Frankfurt. Keine dieser Stationen erklärt sich aus sich heraus, sein Karriereweg mäandert. Sicher, es hätten mehr Titel sein können, sicher, die Liste der Erfolge könnte länger sein. Aber Listen sind für Bürokraten; darauf kann sich berufen, wer keine Fantasie hat. Träumen lassen einen nur Geschichten, und sie leben davon, dass sich ihr Protagonist verschätzt, verrechnet und verwirft; kurz vor Schluss, bei eigenem Ballbesitz.
Freilich hätte Boateng den Ball verwalten können. Frankfurt hätte einen Punkt mehr. Das wäre reiner Erfolg gewesen, und in einem Wort: langweilig.
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