Kolumne Helden der Bewegung: Brecher zum Herzen
Hoffenheims Stürmer Sandro Wagner verfügt über die technischen Möglichkeiten eines Vorschlaghammers. So einen kann jedes Team gebrauchen.
S andro Wagner, so heißt es, sei einer, der gern dorthin gehe, wo es wehtut; folgerichtig ist er jetzt in Hoffenheim gelandet. Da haben sie ihn gern, denn ein Drecksack – und ich sage das in aller Liebe – hat ihnen gefehlt im Sturm. Ausgerechnet Hoffenheim, das einst mitten im Nirgendwo als Feste des schönen Fußballs gebaut wurde: ausgerechnet Sandro Wagner, der über die technischen Möglichkeiten eines Vorschlaghammers verfügt.
Sandro Wagner hat ein Selbstbewusstsein wie ein Omnibus. Ein gutes Jahr in Darmstadt hat ihm gereicht, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass er der beste deutsche Stürmer der Welt ist, mit Abstand. Davor eumelte er sich so durch, bei Bremen, Duisburg, Kaiserslautern und der Hertha, ungeliebt und missverstanden, immer wieder in die Zweite Mannschaft abgeschoben.
In seinem letzten Berliner Jahr sagte man mir im Fanshop am Hauptbahnhof, man habe in den vergangenen zwölf Monaten wohl nicht mehr als fünf Trikots mit seinem Namen beflockt.
Dann macht er 14 Tore für Darmstadt, doppelt so viele wie in seiner ganzen bisherigen Bundesligakarriere, alles Abstauber, hingehechtete Kopfballtore oder Elfmeter. Man dachte an eine jener glücklichen Fügungen, wie sie nur in schlechten Fernsehfilmen vorkommen: Ein unbequemer Held in viel zu engen Jeans erfährt seine Erfüllung in der Provinz, umgeben von neuen Freunden, die ihm seine Eigenarten verzeihen. Nach Toren wird nicht gejubelt, sondern sich gegenseitig innigst geherzt. Eine verschworene Kinderbuchgemeinschaft.
Selten schön anzusehen
Wandspieler nennt man diese Stürmer, denen man den Ball nach vorne haut und die dann zusehen sollen, was sie damit anfangen. Andere sagen Brecher, und das passt sehr viel besser zu Wagner, weil das seine Defensivqualitäten einbezieht: das Anlaufen, das Freiblocken, die vielen, vielen Zweikämpfe. Einen wie Sandro Wagner hat man gerne in der Mannschaft. Seine Spielweise ist fürwahr selten schön anzusehen; aber dankbar ist man, wenn vorne einer drinsteht, der als Ausgleichssport am liebsten Fingerhakeln machen würde.
Der Boulevard mag Sandro Wagner, er macht es einem leicht. Seine durch seinen bisherigen Lebenslauf kaum gedeckte Selbstherrlichkeit verführt ihn immer wieder dazu, Dinge aus dem Mund fallen zu lassen, die schlecht riechen. Fußballstars seien überbezahlt? Auf gar keinen Fall, sagt Wagner, schließlich hätten sie ihre Jugend geopfert, um Leistungssport betreiben zu können. Eigentlich müssten sie noch viel mehr Geld bekommen. Eigentlich müsste er noch viel mehr Geld bekommen.
Das ist die Perspektive eines Narzissten, der versucht, ein Querkopf zu sein. Sein ehemaliger Trainer Hermann Gerland sagte einmal über ihn, Wagner habe immer das Gegenteil von dem gemacht, was man ihm gesagt habe. Es ist diese gewisse dreiste Störrischkeit, die auch Wagners Spiel auszeichnet; diese Lust an der Provokation, dieser Wille, sich den Gegebenheiten zu widersetzen. Sein letztes Tor für Darmstadt machte er gegen die Hertha, und zum Feiern ging er in die Ostkurve, wo ihn Schmähungen und Beschimpfungen empfingen; ihm war’s egal. Es heißt, im Torjubel zeige sich der Charakter eines Spielers am eindrücklichsten: Sandro Wagner hinterlässt selbst dann verbrannte Erde.
1958 riefen die brasilianischen Zuschauer angesichts der Leichtfüßigkeit und Anmut ihrer Mannschaft immer wieder „Samba, Samba“ von den Rängen; es kann nicht mehr lange dauern, da werden sie in Hoffenheim ganz von selbst Presslufthammergeräusche machen, sobald sich der Ball Richtung Sandro Wagner orientiert.
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