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Kolumne HabibitusAuf dem Radar des Race-Detectives

Weiße Personen finden es voll rassistisch, Kartoffeln genannt zu werden. Wissen die überhaupt, was Rassismus bedeutet?

Kartoffel ist nicht gleich Kartoffel. Es gibt sie in ganz vielen Formen und Farben. Foto: dpa

M eistens vermeide ich es, Texte zu lesen, die mir Sodbrennen bereiten. Manchmal lese ich sie trotzdem. Annah Rettigs Text in der Jungle World etwa, der sieben Wochen nach Silvester noch mal über Köln nachdenken wollte. Warum ich ihn las? Vermutlich, weil ich an dem Tag einfach mal die Hütte brennen sehen wollte.

Ich begab mich dabei in die Sternstunde des White Entitlements, in der weiße Personen nicht wissen, wann die Party vorbei ist. Rettig ätzte über die queerfeministische Bloggerin Nadia Shehadeh und vergaß in ihrer Rage, deren Namen richtig zu schreiben. Auch ich bin in Rage. Deshalb wird Rettig vermutlich anders geschrieben.

Shehadeh hatte daran erinnert, dass nicht alle, die keine blonden Haare und Milchbrötchen-blasse Haut haben, unter „nordafrikanischem Aussehen“ zusammengefasst werden können. Könnte ja auch mal ein Italiener sein. Homegirl Rettig empfand dies als dreiste Unterstellung: Will Shehadeh damit etwa andeuten, die Kartoffel von nebenan sei zu dumm, um Mittelmeeranrainerstaaten auf der Karte zu platzieren? Oder einen Mahmoud von einem Marcello zu unterscheiden?

Und überhaupt, ist es nicht eigentlich voll rassistisch, weiße Deutsche als „Kartoffeln“ zu bezeichnen? Bei Fahrkartenkontrollen wurde jedenfalls noch nie wer härter drangenommen, weil sie_er als Kartoffel aufgefallen ist. Oder anders gesagt: Wenn es weißen Menschen schlecht geht oder sie unterdrückt werden, dann kann das an allem Möglichen liegen (Klasse, Gender, schlimme Trennung), aber sicher nicht daran, dass sie weiß sind.

Und das wiederum ist keine Frage der Hautfarbe, sondern ein Set an Privilegien, die eine Konstruktion „der Anderen“ ermöglichen. Helle Haut ist nur eines von vielen weißen Privilegien, die aber auch People of Color haben können. Und weil Unterdrückung ein System ist, das von oben nach unten (oder auch horizontal) funktioniert, aber eben nie von unten nach oben, können weiße Leute in Deutschland keinen Rassismus erfahren.

Vielleicht ist es beleidigend, Kartoffel oder Mayo-Gesicht genannt zu werden. Diskriminierend ist es sicher nicht.

Die Faustregel lautet nämlich: Kartoffel ist, wer sich wie eine Kartoffel verhält. Und Race-Detectives sind Kartoffeln in ihrer reinsten Form. Auf ihrem Radar bleiben weiße Personen unsichtbar, weil neutral, alle anderen schreien förmlich nach ihrer Analyse. Mit prüfenden Augen scannen sie ihr Gegenüber.

Sie schauen auf Haarstruktur, Augen, Nase, Teint, hören ganz genau zu, wenn gesprochen wird, um auch bloß jede Akzentvariation kontrollieren zu können. War es jetzt tunesisches oder syrisches Arabisch? Meistens liegen sie falsch. (Zwischen Griechenland und Japan wurde schon so ziemlich alles bei mir als Herkunft vermutet.)

Damit kehren wir auch zu Rettigs erster Frage zurück: Nur weil eine_r im Erdkundeunterricht aufgepasst hat, wird sie_er nicht auf den ersten Blick Menschen aus dem Gesicht lesen können, wo sie herkommen. Und wer, bitte, überprüft im Schockmoment nach einem Überfall allen Ernstes die mögliche Herkunft von Täter_innen? Race-Detectives eben. Und vielleicht Sherlock Holmes.

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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9 Kommentare

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  • Liebe Hengameh, so richtig zielführend ist das nicht, meinen Namen so falsch zu schreiben, dass selbst Google das nicht mehr zuordnen kann und ich diesen Beitrag erst anderthalb Jahre später durch Zufall finde und auch andere gar nicht rückverfolgen können, was denn der Artikel ist, auf den sich das bezieht. Ich interessiere mich ja durchaus für Kritik – auch wenn jemand Hanna Wettich schreibt, was des Öfteren vorkommt und mich noch nie zu Wutausbrüchen motiviert hat. Liegt wahrscheinlich auch an meinem Weißsein. Aber ich gebe zu: Das war eine schlechte journalistische Leistung, nicht noch mal die Namen zu checken. Was ich aber lustig finde, ist, dass meine Erwähnung der Kartoffelbezeichnung so viel Furore gemacht hat. Dabei habe ich an keiner Stelle geschrieben, dass ich das rassistisch finde, sondern es schlicht als Indiz angeführt, dass zu Köln Opfer-bashing betrieben wurde. Nadia hätte auch „dumme Schnepfen“ schreiben können – meine Argumentation war, dass sie die Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt wurden, beleidigt hat, nicht dass sie sie rassistisch disqualifiziert hat. Aber natürlich ist es auch rassistisch – das wurde hier ja schon ausführlich ausgeführt. Und das weißt Du offensichtlich selber, sonst hättest Du nicht imaginiert, dass ich es rassistisch nenne, obwohl ich das nicht getan habe.

  • Den Tatbestand einer Volksverhetzung definiert § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs:

     

    Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

    gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder

    die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

     

    wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Volksverhetzung

  • Kein Rassismus gegen weiße: Kommt auf die konkrete Situation an, oder nicht? In einer Schulklasse mit 5% Biodeutschen sehen die Mehrheits- und Machtverhältnisse sicherlich anders aus, als im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Pauschalen a la 'das gibt's nicht' bringen jenseits von konkreten Situationen m.E. wenig.

     

    Zum rassistischen Gehalt von 'Kartoffel' - joa, ist Quatsch. Eine ethnisierende Beleidigung ist es trotzdem. Finde ich es witzig, beleidigt zu werden? Von Leuten, die ich kenne und mag vielleicht. Von fremden - nicht so gerne.

  • Also eine "Kartoffel" ist doch mehr als eine weiße Person, sowas: http://1.bp.blogspot.com/-kxU4dKk77bM/TcMW-nimc-I/AAAAAAAAAEo/uaC9LbfJq1o/s1600/29335-PICT0036.jpeg Das ist schon Habitus, und der entsteht durch Kultur. Abgesehen davon sollte mensch vieleicht anfangen, Hautfarben als Konstruktionen wahrzunehmen...Hautfarbe als Diskriminierungskategorie zu benennen ist sinnvoll, darauf aber zu stark abzuheben führt in die Gefahr des Ethnopluralismus...Vorsicht. Nordafrikaner sind übrigens auch "weiß". Und Schwarze können auch blond sein. Und Skandinavier können schwarze Haare haben.

  • Die hier verwendeten Begriffe "weiß" und "People of Color" sowie die Denkmuster sind ein Import aus den USA. Deutschland funktioniert anders als die USA. Die Rassenlehre der USA und die Analysen eins zu eins auf Deutschland zu übertragen ist ignorant und Kulturimperialistisch.

     

    Kartoffel ist mehr als eine Beleidigung.

  • 1.) "...können weiße Leute in Deutschland keinen Rassismus erfahren." Starke These. Ich wurde in meiner Grundschulzeit (in Deutschland) von Mitschülern türkischer und kurdischer Abstammung verprügelt, weil ich Deutscher bin. Wie würden Sie das nennen?

     

    2.) "Die Faustregel lautet nämlich: Kartoffel ist, wer sich wie eine Kartoffel verhält." Auch stark. Man ersetze den Begriff 'Kartoffel' durch irgendein anderes beliebiges rassistisches Schimpfwort, das sich nicht auf 'Weiße' oder 'Deutsche' bezieht, und direkt hätte man all diejenigen wütend am Hals, die es aber vollkommen okay finden, Leute 'Kartoffel' zu nennen.

     

    3.) "Auf ihrem Radar bleiben weiße Personen unsichtbar, weil neutral, alle anderen schreien förmlich nach ihrer Analyse. Mit prüfenden Augen scannen sie ihr Gegenüber." Genau wie Sie, in etwa so: 'Der- oder diejenige hat behauptet, Opfer von Rassismus zu sein. Ist aber weiß. Das hab ich als allererstes bemerkt. Also hat sie_er kein Recht das zu behaupten. Und ich muss es mir auch gar nicht erst anhören.'

     

    4.) "Und wer, bitte, überprüft im Schockmoment nach einem Überfall allen Ernstes die mögliche Herkunft von Täter_innen?" Vielleicht geht es auch oft einfach um eine pragmatische Täterbeschreibung? Wenn ich sage, dass ein Dieb eine große Nase hat, würden Sie mir dann vorwerfen, dass ich alle Menschen nach der Größe ihrer Nase beurteile?

  • OK, so weit - nur noch mal zum Verständniss:

     

    Ist es jetzt *generell* rassistisch und/oder diskriminierend, jemanden aufgrund seiner Herkunft (etc) mit abfälligen Bezeichnungen zu titulieren, oder nicht?

     

    Wenn nicht: Warum ist dann dieses Verhalten von (womöglich alten) weißen Männern grundsätzlich rassistisch und diskriminierend, während das selbe Verhalten eben diesen awM gegenüber "bestenfalls" beleidigend ist?

     

    Und warum ist die Unterscheidung, die aufgrund von Alter, Hautfarbe und Herkunft getroffen wird, nicht rassistisch und diskriminieren?

     

    Und warum - bei aller allzu verständlich Aufregung über weiße. männliche Rassisten (und weiße, weibliche Rassistinnen - warum wird a) so ein Erguss geschrieben undb) auch noch gedruckt?

     

    Um zu demonstrieren, dass Rassimus und Disskriminierung immer und überall vorhanden ist, auch in der TAZ-Redaktion? Und sich der gleichen Mittel bedient (ausnehmen von willkürlichen Gruppen vom allgemeinen Mensch-Sein) wie etwa in der NPD und bei Pergida und sich ausschöie´öoch durch die Wahl der Zielgruppe ein wenig davon unterscheidet?

     

    Nun denn: Das ist vollkommen gelingen.

    fein

    • @uli moll:

      Ganz einfach: Rassismus erfordert Macht. Paul Mooney erklärt es ganz gut: https://www.youtube.com/watch?v=p-bbe0LbZ68

      • @hessebub:

        1. These an sich ist zweifelhaft

        2. selbst wenn: Macht kann auch lokal oder relativ bestehen, z.B. wenn nachts in der dunklen Straße 5 Typen pöbeln wollen.