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Kolumne GerüchteMit Buddha im Pflegeheim

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Im Zweibettzimmer leben, im Rollstuhl sitzen, Windeln tragen - das Ende? Nicht unbedingt, sagt Tante Zilly.

Mit Buddha im Pflegeheim

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Im Zweibettzimmer leben, im Rollstuhl sitzen, Windeln tragen - das Ende? Nicht unbedingt, sagt Tante Zilly

N euerdings gehen ja diese Geschichten durch die Medien, von alten Frauen, die nicht mehr leben wollen, weil sie Angst vor dem Pflegeheim haben. Die Würzburgerin Bettina S., 79 Jahre alt, hat sich deswegen sogar vorsorglich umgebracht, unter Begleitung eines ehemaligen Justizsenators. Das Pflegeheim! So eine Art Vorhölle für den zivilisierten Menschen. Aber wie, wenn das alles gar nicht stimmt? Nicht unbedingt jedenfalls. Neulich zum Beispiel war meine Nenntante Zilly zu Besuch, 83 Jahre alt. Der Schlaganfall liegt jetzt anderthalb Jahre zurück.

"Komm doch mal vorbei, zum Probewohnen", krächzt Zilly ins Telefon, "bei uns ist immer was los." Zilly sitzt im Rollstuhl und telefoniert mit ihrer Jugendfreundin B. Zilly wohnt in einem Pflegeheim bei Hannover. Das Heim ist nichts Besonderes, ein bezirkliches, kein privates. Zilly lebt dort in einem Zweibettzimmer mit Frau F., 90 Jahre alt, die sie vorher nicht kannte. Zilly muss "Einlagen" tragen, also Windeln, denn alleine kann sie nicht mehr gehen seit dem Schlaganfall. Das bedeutet, dass sie immer klingeln muss, damit die Schwester sie aufs Klo begleitet oder die Einlage wechselt.

All das, was manche Menschen in Yoga- und Meditationsretreats zu erlernen versuchen, das Loslassen, das Akzeptieren von Veränderungen, der Vergänglichkeit des Körpers, das sich Erfreuen an den kleinen Dingen - all das hat Zilly sich gewissermaßen selbst in einem Crashkurs beibringen müssen, nach dem Schlaganfall. Als sie alleine nicht mehr gehen konnte, kaum noch etwas sah und manchmal auch verwirrt war und fantasierte, dass die Klinik von ihrem Neffen geleitet würde, der sicher bald nach ihr sehen käme. Die erste Zeit war sehr schwer.

Inzwischen ist Zilly viel klarer. "Die Schwestern sind nett, manche sprechen schlecht deutsch, denen muss man die Wörter erklären", sagt Zilly in den Hörer. Mit der Krankengymnastin, die einmal die Woche kommt, verstehe sie sich gut, hat sie uns vorher erzählt. Einmal in der Woche wird Zilly zur Gruppengymnastik im Heim gerollt und einmal zu einem Gedächtnisgesprächskreis, in dem sie inzwischen eine führende Rolle einnimmt. "Das Essen ist gut, die machen viel Frisches, mit Obstsalat und Quark", führt Zilly aus.

B. scheint geduldig am anderen Ende der Leitung zu lauschen. Essen und Trinken sind ja wichtig. Schon zweimal hat Zilly bei ihrem Sohn Tim jeweils eine Kiste des feinsten portugiesischen Weins geordert und dann im Pflegeheim verteilt, was zu ihrer Beliebtheit beitrug.

Zilly hätte sich nach dem Schlaganfall auch zu Hause betreuen lassen können. Sie hätte genug Geld und Platz gehabt, um sich eine nette polnische oder rumänische Altenbetreuerin zu leisten, die mit ihr zusammenwohnt. Dass sie ins Pflegeheim geht und dort auch noch im Zweibettzimmer wohnt, hat sie sich selbst ausgesucht. Alles andere war ihr zu unsicher. Mit Frau F. hat sie wirklich Glück gehabt, "eine feine Dame", wie Zilly erklärte. Und das Zimmer hat einen Balkon, von dem aus man auf den Garten blickt.

"Ich reise viel", plaudert Zilly weiter. Als sie noch nicht im Rollstuhl saß, traute sie sich kaum aus dem Haus, erst recht nicht nach dem Tode ihres Mannes. Jetzt war sie mit Sohn und Tochter und deren Familien schon zweimal verreist.

In Kopenhagen hoben ihren Rollstuhl zehn Arme über die Treppenstufen des Vergnügungsparks Tivoli, wie in einer Sänfte schwebte Zilly, hat mir Tim erzählt. Die halbe Etage im Pflegeheim bekam von ihr kleine Meerjungfrauen aus Plastik mitgebracht. Als Tim sie jetzt nach Berlin holte, kaufte er ihr drei Schneekugeln mit dem Brandenburger Tor, zum Mitbringen im Heim. Dort träumen inzwischen viele wieder vom Reisen. Frau F. möchte zu ihrer Tochter nach Los Angeles, "da ist Hollywood!", hat sie zu Zilly gesagt.

Doch B. am anderen Ende der Leitung ist offenbar nicht begeistert, mal auf Besuch ein paar Tage im Pflegeheim zu wohnen. "Du kannst es dir ja noch überlegen", sagt Zilly, "ich finde es in Ordnung bei uns." "Auf eure Einstellung kommt es an", predigt meine buddhistische Yogalehrerin K. immer, "jeden Tag beginnt ein neues Leben." Vielleicht ist da was dran.

Angst vor der Pflege? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried hat ÖKOSEX

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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