Kolumne German Angst: Das Ideal der passiven Frau
Der Kompromiss zum Paragrafen 219a spricht Frauen die Selbstbestimmung ab. Drei, die dagegen kämpfen, wurden mit einem Preis geehrt.
U nd die Ungeborenen bezahlen mit ihrem Leben“, „Ein Kindermord im Mutterleib ist einer zu viel“, „Abtreibung ist Mord“, Bilder von entstellten Embryonen oder Dämonen, die Frauen schreiende Babys aus dem blutigen Leib reißen. Nachdem die Heinrich-Böll-Stiftung den Anne-Klein-Frauenpreis letzte Woche an drei Ärztinnen verliehen hatte, gab es die üblichen Reaktionen der Abtreibungsgegner*innen.
Preisträgerinnen sind die verurteilte Kristina Hänel sowie Natascha Nicklaus und Nora Szász, die in Kassel vor Gericht stehen. Was ihnen vorgeworfen wird: Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft. Geworben hatten die Ärztinnen natürlich nicht, sie hatten (potenzielle) ungewollt Schwangere informiert. So wie es das Informationsrecht und das Gebot der Gleichbehandlung ganz selbstverständlich vorsehen müsste.
Zuletzt hat der Bundestag einen Kompromiss zum Paragrafen 219a gefunden. Die CDU hatte den Uraltparagrafen nicht verändern wollen, klar. Und die SPD – sie erreichte lediglich, dass Ärzt*innen auf die Durchführung von Abbrüchen hinweisen dürfen. Weitere Informationen: verboten. Was anders ist dies also als ein Geschenk an fundamentale AbtreibungsgegnerInnen? Schließlich bleibt Abtreibung ein Straftatbestand, und dank „Webeverbot“ gibt es auch keine Informationsfreiheit.
Selbstbestimmung ist nicht vorgesehen
Kriminalisierung von ungewollt Schwangeren und Ärzt*innen und Tabuisierung des Abbruchs mit Folgen für die Betroffenen bleibt bestehen. Letztlich spricht Paragraf 219a den Frauen die Fähigkeit zur eigenen Entscheidung ab. So tief ist die Idee, dass der Körper der Frau qua Gebärfähigkeit dem Staat gehöre, bis in die Institutionen verankert. Selbstbestimmung ist da nicht vorgesehen.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass fundamentale Christ*innen in der CDU der „Lebensschutzbewegung“ nahe stehen, die Ärzt*innen mit Holocaust-Vergleichen nachstellt. Hier geht der patriarchale Paternalismus mit dem Ideal der passiven Frau und Mutter zusammen.
Dazu passt die geplante Studie über die gesundheitlichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen. Fünf Millionen Euro wurden dafür genehmigt. Selbst wenn, was eine Reihe anderer Studien belegt, auch sie zeigte, dass es so etwas wie ein Post-Abortion-Syndrom nicht gibt, bliebe doch stehen: Frauen machen sich durch Abtreibung zum Opfer. Sie sind durch Werbung beeinflussbar – sonst könnte man ja nicht erklären, warum sie gegen ihre Bestimmung handelten. Die Lösung innerhalb der rechtskonservativen Ideologie ist Stigmatisierung und Bevormundung.
Im Umfeld der großen Politik jedenfalls ist das Thema Schwangerschaftsabbruch geprägt von der Abwehr der reproduktiven Selbstbestimmung. Selbst die jüngst verkündete Vorbereitung auf eine Verfassungsklage gegen Paragraf 219a geht auf jene Ärzt*innen zurück, die mit ihrem Engagement die Bundesregierung erst zum Handeln zwangen.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
Schwarz-Rote Finanzen
Grüne in der Zwickmühle
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
Wechseljahre
Ich glaube, ich mag mich so sehr wie noch nie