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Kolumne German AngstIn Richtung Demarkationslinie

Sonja Vogel
Kolumne
von Sonja Vogel

An der Grenze verdichten sich Fantasien von Macht, Herrschaft und völkischer Homogenität. Wo Grenze ist, gibt es keine Solidarität.

Grenzen sind wieder in: Hier müssen Österreicher sich bei der Einreise nach Deutschland ausweisen. Foto: reuters

Über euer scheiß Mittelmeer käm' ich, wenn ich ein Turnschuh wär‘“, sangen die Goldenen Zitronen schon vor einiger Zeit. Dass für die Ware, anders als für den Menschen, die nationale Grenze keine Realität hat, ist ein Gesetz des Kapitalismus. Diese Zeile ist nicht erst aktuell, seit wir im Mittelmeer in Sichtweite der Frachter tausende von Menschen ersaufen lassen, weil sie bloß Menschen sind. Ich denke an sie, wenn ich zur Passkontrolle anstehe.

Selten sieht man Menschen so geduldig und ruhig in einer Schlange stehen und warten. Dem ergeben, was die Idee der nationalen Homogenität, diese bösartige und gefährliche Fantasie, für einen Moment zur Realität werden lässt. Natürlich, die Passkontrolle zum Beispiel am Flughafen markiert eine fantastische, keine echte Grenze. Und ohnehin wissen wir um deren soziale Konstruiertheit. Schritt für Schritt rückt man so voran auf dieser Mental Map des Wir und Ihr in Richtung Demarkationslinie.

Dort verdichten sich Macht und Herrschaft. Hier materialisiert sich die Fantasie der ethnischen Homogenität, die in den letzten Jahren vom so genannten Balkan vorgerückt ist, wohin Westeuropa sie seit den brutalen Kriegen der 1990er externalisiert hatte. Sie ist zurück als Wunsch nach Eindeutigkeit, nach einer Abstammungsgemeinschaft, die sich an einem Ort verbinden kann: der Grenze. Und die etablierten Parteien tun gerade alles dafür, dass diese Fantasie auch zur tristen Realität wird. Und apropos Ware – in Großbritannien ist der Wunsch nach der Grenze so stark, dass dafür sogar der Freihandel geopfert wird.

Auch in Deutschland ist die Illusion der homogenen Gemeinschaft längst zu einer Alternative zur solidarischen Gesellschaft geworden. Das Volk als unser Wir ist von ganz rechts bis weit nach links Konsens geworden. Von den sozialen Forderungen ist das geblieben: Die anderen sollen nicht mehr haben als wir.

Meilenstein zum mörderischen Nationalismus

Der jugoslawische Autor Ivan Čolović sagte einst über die Sozialproteste im Serbien der späten 1980er: Sie sind als Arbeiter gekommen und als Serben gegangen. Diese Proteste, die so genannte „antibürokratische Revolution“ gegen die da Oben – angeführt vom ersten europäischen Populisten Slobodan Milošević –, war ein Meilenstein auf dem Weg zum mörderischen Nationalismus, dem Wunsch nach ethnischer Homogenität. Die Unzufriedenheit ging auf in einem nationalistischen Kollektivismus.

Der Weg dorthin erinnert an das, was in Deutschland nach Pegida kam. Eine Bewegung derer, die schon die Vielheit des Alltags als so bedrohlich empfinden, dass sie sich in der kollektiven Einheit einrichten. Noch nie ging es jenen Unzufriedenen um Verteilungs-, immer schon um Abgrenzungskämpfe. Mit Neonazis, Identitären, Reichsbürgern und bürgerlichen Rechten verbindet sie die verrückte Idee, die Fremdbestimmung ende, wenn Deutsche wieder Deutsche sein könnten.

Wer also vom Volk spricht, hat den Forderungen nach Partizipation bereits eine Absage erteilt. Es ist dieser Moment, an dem die Grenze brutale Realität wird.

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Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
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4 Kommentare

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  • Werte Frau Sonja Vogel -

    Will Ihnen ja nicht zu nahe treten.



    Aber Überschrift - “In Richtung Demarkationslinie“ - wie auch Tenor & Inhalt Ihres Beitrages - erhellen es mir schlicht nicht.

    “Hinweistafel an der Innerdeutsche Grenze, "Achtung Demarkationslinie 100 m"



    Als Demarkation (französisch démarcation, zu althochdeutsch marcha ‚Grenze‘, vergl. Mark), auch Delimitation, wird in der internationalen Politik die Festlegung einer zwischenstaatlichen Grenze nach territorialen Veränderungen oder bei Gebietsstreitigkeiten verstanden. Die Demarkation erfolgt im Regelfall durch völkerrechtliche Vereinbarungen.

    Die Grenze wird Demarkationslinie genannt, auch englisch green line (‚Grüne Grenze‘, hat aber im Deutschen eine andere Bedeutung).…“



    &



    Die sodann genannten weiteren Listen Beispiele für - Demarkationslinien - wa!



    de.wikipedia.org/w...arkation_(Politik)



    & Grenze -



    “Eine politische Grenze ist die Grenzlinie zwischen Staatsgebieten (Staatsgrenze, Bundesgrenze, in der Schweiz auch Landesgrenze), teilsouveränen Gliedstaaten und politisch-administrativen Verwaltungseinheiten.…“



    de.wikipedia.org/wiki/Politische_Grenze



    &



    Was dieser - mit Verlaub - mir dunkel bleibender Wirrwarr - noch dazu mit.



    German Angst zu tun haben hat/haben soll.

    Da ich es für - gelinde gesprochen - kontraproduktiv halte - besetzt-definierte Begriffe, der Beliebigkeit derart anheim zu geben.



    Wäre ich für eine Aufklärung dankbar.



    Dank im Voraus.

  • Werte Frau Sonja Vogel -

    Will Ihnen ja nicht zu nahe treten.



    Aber Überschrift - “In Richtung Demarkationslinie“ - wie auch Tenor & Inhalt Ihres Beitrages - erhellen es mir schlicht nicht.

    “Hinweistafel an der Innerdeutsche Grenze, "Achtung Demarkationslinie 100 m"



    Als Demarkation (französisch démarcation, zu althochdeutsch marcha ‚Grenze‘, vergl. Mark), auch Delimitation, wird in der internationalen Politik die Festlegung einer zwischenstaatlichen Grenze nach territorialen Veränderungen oder bei Gebietsstreitigkeiten verstanden. Die Demarkation erfolgt im Regelfall durch völkerrechtliche Vereinbarungen.

    Die Grenze wird Demarkationslinie genannt, auch englisch green line (‚Grüne Grenze‘, hat aber im Deutschen eine andere Bedeutung).…“



    &



    Die sodann genannten weiteren Listen Beispiele für - Demarkationslinien - wa!



    de.wikipedia.org/w...arkation_(Politik)



    & Grenze -



    “Eine politische Grenze ist die Grenzlinie zwischen Staatsgebieten (Staatsgrenze, Bundesgrenze, in der Schweiz auch Landesgrenze), teilsouveränen Gliedstaaten und politisch-administrativen Verwaltungseinheiten.…“



    de.wikipedia.org/wiki/Politische_Grenze



    &



    Was dieser - mit Verlaub - mir dunkel bleibender Wirrwarr - noch dazu mit.



    German Angst zu tun haben hat/haben soll.

    Da ich es für - gelinde gesprochen - kontraproduktiv halte - besetzt-definierte Begriffe, der Beliebigkeit derart anheim zu geben.



    Wäre ich für eine Aufklärung dankbar.



    Dank im Voraus.

  • Zitat: „Von den sozialen Forderungen ist das geblieben: Die anderen sollen nicht mehr haben als wir.“

    Sieh an, da ist sie wieder, die Lebenslüge der Westdeutschen, die sie mit den Ostdeutschen verbindet!

    Vor 1990 war alles besser. Das, jedenfalls, findet der Bürger. Denn vor 1990 hat der Kalte Krieg Priorität gehabt. Damals ging es um Sein oder Nichtsein. Die Angst vor dem gegnerischen „Block“ hat alle anderen Ängste nebensächlich gemacht, zu einer Art Nebenwiderspruch quasi.

    Jetzt, wo es den Eisernen Vorhang nicht mehr gibt, kann man sich anderen Fragen zuwenden. Fragen, die immer schon dringlich waren, die aber 45 Jahre lang zurückgestellt wurden hinter der Systemfrage. Nun ploppen alte Fenster wieder auf. Aus einem aber keift der deutsche Untertan: „Keiner soll mehr haben als ich habe – es sei denn, er kann mir mit Konsequenzen drohen!“

    Die Ergebenheit, mit der Menschen (nicht nur) in Deutschland Schlange stehen im Interesse einer angeblichen Besserstellung, ist schon erstaunlich, finde ich. Aber was wäre auch die Alternative? Und nimmt der brave Untertan nicht noch ganz andere Unannehmlichkeiten in Kauf für seine angebliche Alleinstellung? Ich meine: Die wenigsten Jobs sind das reinste Zuckerschlecken. Und doch bewerben sich sie die Leute massenhaft darauf. Auch, wenn sie sich erniedrigendster Einstellungstests unterziehen müssen dafür.

    Aber der Gerechtigkeit halber muss man auch sagen: Die „bösartige und gefährliche Fantasie“ nationaler Homogenität hat ihre Gründe. Schlechte Gründe, ja, aber doch nachvollziehbare. Die knappsten Güter sind schließlich die wertvollsten. Und geteiltes Eigentum ist selten doppeltes Eigentum. Wo der, der hat, mehr gilt als der, der nichts hat, teilt der Mensch einfach nicht gern.

    Vielleicht bräuchte es ja eine Ideologie des Seins, keine des Habens. Aber was würde dann aus denen, die den Seins-Kriterien, die "von oben" vorgegeb, nicht ganz genau entsprechen können oder wollen? Gelernte DDR-Bürger könnten davon erzählen…

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Vom Ethischen her stimme ich mit dem Text schon überein. Mir ist es bloß unverständlich, wie die Rede vom "Volk" problematisch sein soll, aber das "wir" ist es nicht!?

    "Diese Zeile ist nicht erst aktuell, seit w i r im Mittelmeer in Sichtweite der Frachter tausende von Menschen ersaufen lassen, weil sie bloß Menschen sind."



    Also ich hab das nicht verboten, das Mittelmeer ohne Genehmigung zu überqueren. Ich hab auch von denen keine*n gewählt, die das beschlossen haben. Ich habe auch die so genannten Menschenrechte nicht beschlossen, die diese Unmenschlichkeiten ermöglichen. Als in meiner Welt das Grundgesetz eingeführt wurde, in dem auch nichts zum Ersaufen im Mittelmeer steht, außer dass das den Menschenrechten offenbar nicht widerspricht, hat mich auch niemand gefragt.

    Mit diesem "wir" habe ich schon vor Jahren gebrochen. Die Ohnmacht der Gewalt gegenüber ist mit ihrer Billigung nicht zu verwechseln. So einfach lasse zumindest ich mich nicht vereinnahmen.



    Wer versucht, etwas dagegen zu unternehmen, der*die wird schließlich mit der ganzen Staatsgewalt bedroht. Meine Schuld ist, es nicht darauf anzulegen, jahrelang in den Bau zu wandern. Damit muss ich wohl leben.



    Wenn ich aber im Bau säße, dann würde das auch keinen einzigen Flüchtigen vorm Ersaufen retten. Da mache ich lieber, was mir möglich erscheint und unterstütze die Seerettung, so fragil wie das auch sein mag. Aber zumindest gehöre ich damit nicht zu denen, die einfach jemanden ersaufen lassen.

    "Natürlich, die Passkontrolle zum Beispiel am Flughafen markiert eine fantastische, keine echte Grenze. Und ohnehin w i s s e n wir um deren soziale Konstruiertheit."



    Die eine Grenze ist "echt & konstruiert" und die andere ist "ausgedacht & konstruiert"? Was soll das heißen?



    Konstruktivismus - ein erkenntnistheoretisches Scheinproblem. Vorausgesetzt wird ein Subjekt (Individuum oder Gesellschaft), der Konstrukteur. Genau dieses ist aber erst zu erklären.



    Vorschlag zur Güte: "sozial konstituiert" schreiben.