Kolumne Generation Camper: Knossos und die Spätfolgen
Auch auf Studienreisen: Glauben Sie niemandem! Das Matriarchat bleibt ein Krümel Utopie in einer testosterongesteuerten Welt.
W ie angekickt stolperten wir damals durch die Ausgrabungsstätten von Knossos auf Kreta. Das war in den Siebzigern. Wir staunten, was Archäologen hier ausgegraben und so farbenfroh wieder aufgebaut hatten. Aber vor allem waren es die Geschichten, die hier kursierten: von einem Göttinnenkult, von einem Matriarchat, von einer Zivilisation lange vor der uns bekannten männerdominierten Zeit. Diese Geschichten machten den Kopf frei. Und mobilisierten unsere emanzipatorischen Energien. Keine von uns, die damals ohne eine schmucke Doppelaxt am Halskettchen (dem Symbol der Göttin) nach Hause zurückkehrte.
Lange ist es her. Das Matriarchat ist und bleibt wohl auch ein Mythos. Ein Krümel Utopie in einer testosterongesteuerten Welt. Trotzdem meldete sich unlängst eine ehemalige Mitreisende und empfahl mir aufgeregt ein Sachbuch: „Das Rätsel der Donauzivilisation“. Ich las und staunte nicht schlecht: neue archäologische Funde und wissenschaftliche Forschung würden eine Neubewertung der Kulturentwicklung nötig machen, meint der Wissenschaftler Harald Haarmann. Und: nicht zwischen Euphrat und Tigris, sondern an der Donau habe die Zivilisation ihren Anfang genommen, und zwar nicht unter patriarchalen, sondern unter „egalitären“ Verhältnissen, die Haarmann als eine „Ökumene“ beschreibt.
Tatsächlich lassen manche Funde aufhorchen. Etwa an einer Ausgrabungsstätte bei Fridingen an der Donau: Was eigentlich ein „Männergrab“ (Grabbeigabe: Dolch) sein sollte, entpuppte sich dank neuer Analysemethoden als „Frauengrab“. Und umgekehrt ein „Frauengrab“ (mit Schmuck und Spindel) als „Männergrab“.
Was man davon halten soll? Die Antwort ist schlicht: Je weniger man weiß oder rekonstruieren kann, um so größer die Klischees. „Eine Projektion eigener kultureller Konzepte auf vergangene Gesellschaften“, so die Prähistorikerin Brigitte Röder. Also, verehrte Studienreisende: Wo immer es um die Geschichte und die Rolle von Frauen & Männern geht, glauben Sie nichts und niemandem!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel