Kolumne Generation Camper: Camus statt Meditation?
Der Star des coolen Existenzialistenlooks, der Schriftsteller Albert Camus, wurde auf der Buchmesse gewürdigt und wiederentdeckt.
D ie schwarzen Rollkragenpullover sind lange entsorgt, aber der Star des coolen Existenzialistenlooks des letzten Jahrhunderts ist wieder da: Albert Camus. Im November dieses Jahres würde er 100 Jahre alt. Auf Fotos lächelt er wie Humphrey Bogart, amüsiert, sexy, die Zigarette im Mundwinkel. Camus war auch „unser“ Star. Sein Roman „Die Pest“ ging unter die Haut und beantwortete Fragen nach dem Sinn des Lebens, noch bevor wir sie stellten.
Camus’ Philosophie war so cool wie das Outfit. Wir wollten beides. Kaum vorstellbar, dass es auch einen anderen, privaten Camus gab. Einen, der so gar nicht ins Bild der intellektuellen Pariser Szene passte, der sinnlich, lebenshungrig und hoffnungslos dem Mittelmeer verfallen war?
Es ist ein schönes Geburtstagsgeschenk des Arche Verlags, mit einer Neuausgabe von Camus’ „Hochzeit des Lichts“ die poetische Seite des Philosophen wieder in Erinnerung zu bringen. Wie Camus die Landschaft seiner Kindheit und Jugend in Algier zum Ausgangspunkt wunderschöner poetischer Meditationen macht, ist umwerfend. Impressionen wie herbeigezaubert vom Meister im Yogakurs, wenn er uns zu Traumreisen animiert. Und so intensiv, dass irgendwann das Meerwasser auf der Haut prickelt und die Sonne blendet.
Soziologin und Autorin, sie lebt eigentlich in Frankfurt, fährt aber am liebsten mit dem flotten Campmobil durch das Land. Ab und an hält sie an, um zu wandern. Kontakt: Chburghoff@aol.com
Camus schreibt vom Licht, dem Wind, den Gerüchen, dem Meer, vor allem aber beschwört er das Glück, sich im Hier und Jetzt dieser elementaren Welt eingebettet zu fühlen. War er deshalb ein eskapistischer Naturmystizist, wie Pariser Intellektuelle um Sartre ihn charakterisierten?
Die Meditationen des Albert Camus führen nicht zur geistigen Leere, sondern zur Fülle. Seine Kraftorte sind echt, aufgehoben im Erinnerungsschatz kindlich zeitloser Glücksgefühle in einer wirklichen Welt.
„Ohne Himmel, Erde, Sterne fühlte sich Camus lebendig begraben“, meint seine Biografin Iris Radisch. Camus offenbart ein Bedürfnis nach Natur, mit dem er uns heute mehr denn je locken kann. Meditation – schön und gut. Aber Camus zu folgen ist auch nicht verkehrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste