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Kolumne Gehts noch?Die Frankfurt-Istanbul-Connection

Kolumne
von Jürgen Roth

Grundrechte? Nicht mit uns! Darin sind sich die hessischen Christdemokraten und der türkische Ministerpräsident Erdogan einig.

Frankfurt am Main: Demonstationsrecht vorübergehend aufgehoben Bild: dpa

A m vergangenen Wochenende haben die CDU und ihre Vollstrecker im Polizeipräsidium bzw. im Wiesbadener Innenministerium weit über zehntausend Bürgern und Bürgerinnen den Krieg erklärt. Die wollten in Frankfurt gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen europäischer Bürger und gegen die verantwortlichen Banken, insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) demonstrieren. Sie wollten – aber sie durften nicht.

Es fand, wie schon ein Jahr zuvor in Frankfurt, eine Demontierung der demokratischen Versammlungsfreiheit statt. Und wieder wurde die Polizei zum Büttel (teils mit Schaum vorm Mund, aber auch mit Tränen der Ohnmacht in den Augen) der hessischen CDU-Machtclique und einer paranoiden Frankfurter Polizeiführung.

Kampfrobotern ähnelnd stürzten Einsatzgruppen aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg völlig grundlos in die bislang friedliche Demonstration hinein, trennten den sogenannten schwarzen Block (der bislang ziemlich bunt und auf jeden Fall friedlich war) von den anderen tausenden Demonstrationsteilnehmern, bildeten einen Kessel für 900 von ihnen, davon vielleicht 150 vermummt, prügelten und sprühten Pfefferspray, weil sich die Demonstranten nicht wie Lämmer zur Schlachtbank, d. h. Personalienfeststellung führen lassen wollten.

Die Beamten konnten hingegen sicher sein, niemals identifiziert zu werden, weil von Kopf bis Fuß schwarz oder grün vermummt.

Zur gleichen Zeit jubelten in Istanbul die Demonstranten von Occupy Gezi, weil sich die Polizei – sicher hemmungsloser und brutaler als in Frankfurt, aber immerhin nicht vermummt – zurückgezogen hatte.

Premierminister Erdogan denunzierte die Demonstranten als Chaoten. Und was sagte die hessische CDU (berüchtigt für schwarze Kassen und Psychiatrisierung kritischer Steuerfahnder) zu Frankfurt: „Potenziell gewaltbereite Chaoten.“

Und der parlamentarische Geschäftsführer der hessischen CDU aus dem noblem Hochtaunus-Wahlkreis dankte den Polizeikräften, dafür, dass sie Frankfurt und seine Bürger „vor größeren Schäden bewahrt haben.“ Die feierten übrigens, während die Polizei elementare Grundrechte missachtete, in der noblen Fressgass, zwei Kilometer weit entfernt, in Sichtweite der EZB, ein Weinfest.

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18 Kommentare

 / 
  • S
    Simone

    Nachdem ich schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, nochmal einen kritischen Artikel, in der taz zu lesen empand ich dieses als Wohltat.

     

    Die Taz verliert in der Mitte Ihren BISS.

    Wie schade!

    Aber deshalb gerade danke, für diesen kritischen Artikel.

     

    Und das was dort geschehen ist, ist leider nur die Spitze, wie Polizeigewlt gegen friedlich Demonstrierende Bürger aussieht.

    Nur war dort Bundespresse vorhanden.

     

    Wie es öfters mal aussieht, schildert folgender Kommtar über die Abläufe beim Tracker-Track 2009 von der BI Lüchow Dannenberg, der damals in Berlin in einer Massendemo von 50.000 Menschen, gegen Atomkraft endete:

    http://braunschweig-online.com/bibs-forum/22-termine--veranstaltungen/9152-mo1006gerichtsverhandlung-gegen-anti-atom-gegener.html

  • H
    H.Ewerth

    Also viele haben nicht verstanden was Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedeuten, sonst könnten man nicht pauschal von „Straftätern“ sprechen, für jeden Bürger gilt erst einmal noch immer die Unschuldsvermutung, oder habe ich da etwas verpasst? . Das so wenig über diese Demonstration berichtet wurde, und die Mehrheitsmedien leider der Linie der Politik folgen, und Propaganda verbreiten lassen.

    Wie pauschal eine Mehrheit in diesem Land, der Propaganda der Mainstreammedien glauben, weil es ihre Vorurteile bestätigt? zeigen viele Kommentare, und ist nur noch erschreckend. Es ist ein Grundrecht in diesem Land zu demonstrieren. Das in der Polizei ein gewisser Corps Geist herrscht, ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man sieht, wie Verfahren gegen Polizisten reihenweise eingestellt wurden und werden? Das sollte auch dem naivsten Bürger bekannt sein.

    Wie sagte schon Adorno: Ich habe keine Angst vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten „Rechtsstaat und Demokratie“ nicht verstanden haben.

  • PN
    Peter Nowak

    Der Kommentar von Jürgen Roth war eine positive Ausnahme in der Wochenendtaz. Es war enttäuschend, wie wenig die repressie Polizeistrategie von Frankfurt dort behandelt wurde.

    Warum hat man nicht mit Menschen aus dem Kesssel Interviews geführt? Es hat in den letzten Tagen zahlreiche Stellungnahmen und Erklärungen von zivilgesellschaftlichen Gruppen gegeben, die als von der Repression betroffene oder Augenzeugen berichten können. Die tausendfache Verletzung von Menschenrechten wie sie in Frankfurt geschehen sind, sollte für die Taz ein Anlass sein, ihr Selbstverständnis zu hinterfragen. Nicht "dick und gemütlich" sondern stark und kämpferisch wünsche ich sie mir.

     

    Peter Nowak

  • PN
    Peter Nowak

    Dieser Kommentar war ein echter Lichtblick in der Wochenend-Taz. Ich hatte mir gewünscht, dass dort die massenhafte Verletzung der Menschenrechte durch die Polizei in Frankfurt/Mein eine viel größere Rolle gespielt hätten. Warum gab es nich ein Gespräch mit einen der vielen Menschen, die Opfer von Polizeigewalt am 1.6. in Frankfurt wurden. Dazu gehörten auch viele Menschen, die mit Namen und Gesicht bereit sind, darüber Auskunft zu geben, wie der hessische GEW-Vorsitzende Nagel (http://www.gew-hessen.de/uploads/media/didacta_2011-KV_Friedberg.pdf) oder der Geschäftsführer von Ethecon (http://www.ethecon.org/de/689), um nur zwei von vielen zu nennen. Ich hoffe, hier können wir noch etwas in der Wochenend-Taz lesen. Die sollte angesichts der Lage nicht dick und gemütlich werden, sondern stark und bissig.

  • H
    Hesse

    @Bir Osmanli

     

    "Auge um Auge" verknüpft mit Sippenhaft - ihre rechtsstaatsfeindlichen Ansichten mögen die deutsche Prügelpolizeiseele spiegeln, mit dem in ihrem Nick angedeuteten Migrationshintergrund hat das aber wohl nichts zu tun.

     

     

    Die schlimmsten Prügeleinheiten stammten übrigens - laut Auskunft der Frankfurter Polizei - aus Baden-Württemberg (wo Polizisten und Staatsanwälte nachweislich Mitglieder eines deutschen Ku-Klux-Klan-Ablegers bis zu dessen Auflösung waren) und Sachsen (wo Ermittlungsbehörden der Polizei und Staatsanwaltschaft seit Jahren Menschenhandel und Kinderprostitution, in die auch sächsische Regierungskreise verwickelt sind, vertuschen).

     

    Dennoch ist das Land Hessen nach 13 Jahren rechtsstaatlicher Erosion durch die Regierungen Koch/Bouffier verwahrlost. Von der Hetze des brutalstmöglichen Aufklärers gegen Minderheiten bis zur völligen Unterminierung jeglicher politischen Kultur wie zuletzt von Finanzminister Schäfer, der sein Ministerium für Wahlkampfpropaganda missbraucht oder eben Innenminister Rhein der die Polizei gegen das eigene Volk marschieren läßt ist das Bundesland Hessen zu einem reinen Selbstbedienungsladen der reaktionären wirtschaftshörigen Klientel und ihrer Hofschranzen in den mittleren und unteren Behörden geworden. Hessen ist um gut 40 bis 50 Jahre zurückgeworfen, die Aufräumarbeiten nach der längst überfälligen Abwahl im September wird ein bis zwei Generationen in Anspruch nehmen. Und damit sind nicht Legislaturperioden gemeint.

     

    Hessenland ist ausgebrannt.

  • T
    Tantris

    Hallo ,Berliner Polizisten:

    von Frankfurt lernen heisst Siegen lernen

  • C
    Claude

    @ "von einfachewelt": Dein Kommentar ist ziemlich doof und enfach unqualifiziert. Wenn man nicht weiß, um was es überhaupt geht, einfach mal Klappe halten.

  • BO
    Bir Osmanli

    Der Terroranschlag auf eine Polizistin in Berlin durch Vermummte terroristen rechtfertigt das Vorgehen der Polizei nachträglich

  • J
    Jakob

    Stimmt, CDU-Hessen ist inzwischen das Land der politischen Perversitäten: Zwangspsysiatrie, Freiheitsberaubung, Grundrechtsverletzungen

    Die Mehrheit der hessischen Bürger hat davon die Schnautze voll, da bin ich mir inzwischen ganz sicher!

  • T
    Teermaschine

    Gesetzesanwendung nach Gesinnungslage - diese Zeitung ist einfach nur noch kaputt! Nur...wer entscheidet zukünftig, wann z.B. $17a VersG (immerhin ein Gesetz aus kohligen Zeiten und auch unter Rot-Grün nicht abgeschafft)oder 86a StGB Anwendung finden - die Morgenlage des taz-Politbüros?

  • Z
    zensiert

    Toll!

     

     

     

     

    Satire aus.

  • IK
    Irma Kreiten

    Danke fuer diesen Artikel Herr Roth, mit ihm haben Sie mir zumindest ein kleines Stueck Glauben an den deutschen Journalismus zurueckgegeben. Die mit dem aktuellen Neoliberalismus einhergehende politische Repression und faschistoide Herrschaftsweisen sind international im Vormarsch, wie auch der Widerstand dagegen. Mit spezifisch tuerkischer Parteienpolitik hat das, anders als in den letzten Tagen bis zum Erbrechen von der deutschen Presse behauptet, nur vordergruendig zu tun.

  • E
    einfachewelt

    Über Polizeieinsätze in D wird selbstverständlich nur in Unionsländern berichtet bei der TAZ, denn sobald die beiden richtigen Parteien am Ruder sind, werden alle Polizisten lammfromm und ändern ihre Einsatztaktiken völlig, geben ihre Addresse und Kontonummer jedem Passanten bekannt und sind ausschliesslich mit Plüschteddys bewaffnet.

     

    In der Türkei demonstriert die Masse der Gesellschaft gegen eine autokratische Regierung - in Frankfurt sind es die Nachwehen der Nachahmer von Occupy Wallstreet, die gegen die EZB demonstrieren weil die irgendwas mit Kapitalismus zu tun hat.

  • E
    eksom

    Türkische Polizei in Istanbul ohne Vermummung, deutsche Polizei in Frankfurt mit Vermummung!?

    Verkehrte Welt der Demokratie und der Versammlungsfreiheit?

    Aber beide benutzen Pfefferspray und Schlagstöcke!

    Polizeistaaten: TR=DE

  • M
    Mucehl

    Leute, man kann's auch übertreiben! Das Verhalten deutscher Polizisten auf Demonstrationen ist überhaupt nicht mit dem der türkischen Polizei vergleichbar; auch in anderen europäischen Ländern würde sich der "schwarze Block" umsehen. Treibt den Schabernack mal mit den Franzosen oder Spaniern...

     

    Wer sich die Videoaufnahmen in Frankfurt einmal ansieht, der erkennt, dass (wie eigentlich auf allen linken Demos) der schwarze Block die restliche Demonstration zerstört hat. Wer sich nicht benimmt und nicht an die Regeln hält (die vorher ja wohl ausdrücklich kommuniziert wurden!), dessen Personalien werden halt aufgenommen. Wer sich dagegen wehrt, muss mit Schläge rechnen - ohne dies verharmlosen zu wollen. Man bedenke: Auch in Uniformen stecken Menschen und bei denen dauert es - im Gegensatz zu spät-pubertären Krawallmachern - noch erfreulich lange, bis da mal die Hutschnur platzt. Passieren tut es trotzdem.

     

    "Der Klügere gibt nach" - das hat schon die Mama gesagt und von erwachsenen Zeitungsredakteuren sollte man die Reife, dies zu erkennen, eigentlich erwarten.

  • E
    eMCe

    Das mit dem Weinfest nennt man glaub ich - dekadenz.

    Dekadenz ist immer die endphase eines Staates/Imperiums, bevor es, wenn´s gut läuft einfach zerbröselt und wenn es schlecht läuft gewaltsam umgebaut wird...

  • BO
    Bir Osmanli

    Sie durften schon demonstrieren.

    Aber sie haben sich mit vermummten,bewaffneten Straftätern verbündet,das ist in einem Rechtsstaat,wie Hessen nicht möglich.

    Hessen ist nicht Berlin,wo so etwas geduldet wird.

  • P
    Pragmatiker

    Och Leute, wo ist denn eure Kreativität geblieben?

     

    Die Amokmützen einfach mit der mitgebrachten Farbspraydose markieren. Sprayfarbe kann auch eine Mütze nicht einfach vertuschen.

     

    Im Zweifelsfall auch das Visier zusprayen. Dann Pfefferspray in den offenen Helm.

     

    Das ist Sachbeschädigung und keine Körperverletzung.

     

    Bei größerem Andrang einfach mit der Gummischleuder Farbbeutel gemixt mit Buttersäure in den Haufen Kampfmützen geschossen.

     

    Nur eben nicht tätlich angreifen sondern nachweislich und dauerhaft die Schläger markieren.

     

    Im Zweifelsfall einfach mal von der RAF in Stammheim lernen: Der Beamte muß sich ekeln.

     

    So schwierig ist das doch nicht.