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Kolumne Fußball im EishockeylandHeute in Oddewua

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Auch nach den ersten WM-Spielen interessiert man sich in Ottawa wenig für Fußball. Die Ottawarer leben leidenschaftlich im Hier und Jetzt.

Ausblick auf Ottawa aus einem Ottawarer Fenster, natürlich heute. Foto: Doris Akrap

W enn normale Ottawarer über ihre Stadt sprechen, weiß man nicht, dass sie über ihre Stadt sprechen. Es dauert einige Tage, bis man erkennt, dass sie von Ottawa reden, wenn sie „Oddewua“ sagen. Es klingt so als würden Hessen den Namen aussprechen. Sagt man den Ottawarern, dass sie einen hessischen Akzent haben, antworten sie: „I love Hessenliga“.

Fragt man sie dann, ob sie wissen, dass gerade einige Frankfurter Fußballspielerinnen in ihrer Stadt leben, die gerade Champions-League Sieger geworden sind und nun Weltmeister werden wollen, antworten sie: „I love the Frankfurt Lions and the Marburg Mercenaries.“ Es entspinnt sich ein kompliziertes Gespräch, in dessen Verlauf der Ottawarer von der Existenz des FFC Frankfurt erfährt und man selbst von der eines Eishockey- und eines American-Football-Vereins in Hessen.

Knapp 6.000 Kilometer ist Frankfurt am Main (MEZ -0) von Ottawa am Rideau River (MEZ -6) entfernt. Das allerdings ist auch nicht viel weiter als Ottawa von Vancouver am Pazifik entfernt ist: 5.000 Kilometer, MEZ -9. Bisher habe ich noch keinen Ottawarer getroffen, der in Vancouver war, dafür aber schon einige, die in Frankfurt waren.

Anders als die Hessen sind die Ottawarer sehr freundliche Menschen. Morgens zum Beispiel, wenn der Frankfurter in der Schlange beim Bäcker sagt: „Komm geh‘ fott, du Simbel!“ und die Frankfurter Verkäuferin zu Ausländern, die die Regeln nicht kennen: „Sie san wohl Auswerrdisch“, stehen Ottawarer schweigend in der Schlange bei Starbucks und wenn man an der Reihe ist, fragt die Verkäuferin: „Hey. Wie geht es heute?“

WM-taz 2015

Wer sich in Sachen Frauenfußball und Fifa nicht hinters Licht führen lassen will, sollte vom 6. Juni bis zum 5. Juli 2015 unbedingt die taz lesen. Wir berichten täglich auf ein bis zwei Seiten nicht nur übers Geschehen auf dem Platz, sondern auch über Hintergründiges, Politisches, Schrilles und Schräges.

Gerade wegen des aktuellen Fifa-Skandals wollen wir genau auf diese WM schauen. Vor Ort macht das taz-Redakteurin Doris Akrap, in Berlin kümmern sich Johannes Kopp (Sportredakteur), Martin Krauss (Pauschalist), Ronny Müller (Volontär), Richard Noebel (Layout), Sebastian Raviol (Praktikant), Andreas Rüttenauer (Chefredakteur) und Markus Völker (Sportredakteur) um die Fußball-WM.

„Sammeln Sie heute Treuepunkte?“

Als überraschter Ausländer sagt man: „Oh. Danke. Besser als gestern.“ „Wollen Sie heute eine Plastiktüte?“, fragt die Verkäuferin weiter und man fragt sich selbst, ob man gestern schon da war und eine Plastiktüte gekauft hat. „Oh. Danke. Nein. Äh...heute nicht.“ „Sammeln Sie heute Treuepunkte?“ Habe ich jemals in meinem Leben hier schon mal nach Treuepunkten verlangt? „Äääää...nie. Danke.“ „Wollen Sie heute ihren Kassenzettel?“. „Ja! Heute ja. „. „Wollen Sie heute einen Liter Canady Dry Ingwerlimo für 8 Dollar mitnehmen?“ Hört das nochmal auf? Komme ich heute nochmal aus diesem Laden raus?

Ich will nicht mehr über heute reden und wage zu fragen, ob es auch ok wäre, wenn ich vielleicht morgen eine Limo kaufen würde. „Sicher. Morgen ist die Limo aber nicht mehr im Angebot.“

Ein Simpel, wer diesen simplen Trick nicht durchschaut. Die Ottawarer reagieren darauf sehr gelassen. Noch nie habe ich jemanden sagen hören: „Nach heute haben Sie mich doch gestern schon gefragt.“

In Oddewua kann man also lernen, wie man im Heute lebt und das gestern und morgen einfach auch heute ist. Das ist für mich ganz praktisch zu wissen, denn diese Zeitverschiebung macht einen ziemlich wuschig: Wenn in Deutschland morgen ist, ist bei mir noch heute. Und wenn bei mir heute ist, ist in Deutschland schon gestern. Am Ende aber ist alles heute. Danke Oddewua.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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3 Kommentare

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  • Liebe Doris Akrap,

    nette Kolumne. Dass wir Hessen als nicht sehr freundlich beschrieben werden, sehe ich ihnen nach, denn sie scheinen vor allem Frankfurt am Main zu kennen.

    Widerspruch aber, was das Zitat eines typisch hessischen Spruchs angeht: es wird nicht "komm geh fott, du Simbel" ausgesprochen. Zugegebenermaßen wird das "R" oft etwas verschluckt, aber es heißt eindeutig "komm (manchmal auch "mach dich..." ford, du Simbel". Mit eher weichem "d".

    Ganz und gar nicht geht aber "sie san wohl auswerdisch". Wir sind doch nicht in Bayern. Das sagt hier niemand so. Es heißt eindeutig "gell, sie sin wohl auswerdisch".

    Trotzdem vielen Dank!

    Werner Wenz

  • ...hoffe Nigeria bleibt 'am Ball'!

  • ...die leben im jtscht? schön, es gibt noch 'richtige' menschen ; )