Kolumne Flimmern und Rauschen: Glücksspiel ist nichts Schlimmes
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ informiert in ihrer Werbebeilage über Glücksspiele. Und findet das überhaupt nicht bedenklich.
W er sich mit seinen Anliegen und Ansichten in der klassischen Medienwelt nicht so recht durchsetzen kann, geht heute einfach online. Was aber macht man, wenn man die NutzerInnen klassischer Medien erreichen will? Man schaltet eine Anzeige, oder besser gleich eine Anzeigenbeilage.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hatte jetzt gleich zwei davon, brav auf dem Titel als „Verlagsspezial“ gekennzeichnet. Das ist nach der ganz reinen Lehre des Presserats zwar nicht ganz ausreichend, weshalb immerhin auf der letzten Seite noch „Anzeigen-Sonderveröffentlichung“ stand. In dem einen über den „Wirtschaftsstandort NRW“ durfte NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) sagen: „Verbote sind kein Beitrag zum Klimaschutz.“
Die zweite Beilage war schon aufregender, es geht um die Zukunft des Zockens und weil sie mit einer Anzeige von West-Lotto garniert ist, dürfte dahinter das staatlich-öffentlich-rechtliche Glücksspiel stecken. (Disclaimer: Ich hab zweimal für den Deutschen Lottoblock Fachgespräche zum Thema Glückspielregulierung moderiert.) Und hier wird das ganze Dilemma offenbar: Die staatlich konzessionierten und halbwegs kontrollierten Zock-Angebote stehen unter Druck.
Der Angriff der Sportwettenanbieter und Netzkasinos geht munter weiter, auch wenn die streng genommen nach der aktuellen Rechtslage illegal sind oder bestenfalls in einer Grauzone operieren. Der gültige Glücksspielstaatsvertrag – die Parallelen zur Medienpolitik sind frappierend – ist hoffnungslos veraltet. Ab 2021 soll ein neuer her, doch die Länder sind sich mindestens so uneins wie beim Rundfunkbeitrag.
Zocken auf eigene Gefahr
Und was macht die FAS-Beilage? Sie weist einerseits auf die Gefahren der Zockerei hin. Aber bietet dann gleich zwei Professoren auf, die das Ganze aufs Vortrefflichste relativieren: Da wundert sich also Hans Ulrich Gumbrecht, „warum in Deutschland immer ethisch argumentiert wird“ und erklärt Spielsucht als Teil der Menschheitsgeschichte. Alkohol werde ja auch nicht verboten, obwohl es alkoholkranke Menschen gibt.
Und der Kommunikationswissenschaftler Jo Reichertz sagt: „Meiner Meinung nach stellt das Automatenspiel keine Sucht dar. Spieler, die viel spielen, spielen aus Leidenschaft.“ Geht klar, zumal laut Reichertz „der Mensch mit dem Spiel letztlich eine höhere Macht herausfordert“.
Dass die herausgeforderte „höhere Macht“ meistens auf Malta oder den Kanalinseln sitzt, kaum oder keine Steuern zahlt und sich wenig um Suchtprävention schert – was das anbelangt, geht die Beilage voll nach hinten los. Den Image-Jackpot in Sachen Glücksspiel knacken sieht jedenfalls anders aus. Aber immerhin hat auch bei der FAZ die Kasse geklingelt. Soll da ja in letzter Zeit auch nicht mehr so dolle laufen.
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