Kolumne Fernsehen: Immer auf die Super-Nanny
Über nichts lacht die deutsche TV-Branche so gern wie über die eigenen Kollegen. Dabei ist es traurig, wie sich die Branche zerfleischt und damit selbst schwächt.
S chämen Sie sich für Ihre buckelige Verwandtschaft? Für diesen dümmlichen, lauten, kulturlosen Haufen? Familienbande? Pah – doch nicht bei dieser Bande! Und auf Familienfeiern gehen Sie höchstens, um sich mal wieder so richtig schön aufregen zu können?
Wenn Ihnen all das aus der Seele spricht, haben Sie entweder wirklich Pech mit Ihrer Sippe (bzw. die mit Ihnen). Oder Sie arbeiten beim deutschen Fernsehen. Woran Sie ja – nur so eine Idee – jederzeit was ändern könnten … Jahaaa, keine Ursache, ich helfe, wo ich kann.
Am vergangenen Wochenende zeigte die Fernsehbranche mal wieder sehr schön, wie ungern sie mit sich selbst zu tun hat – bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises am Sonntag, aber auch schon am Vortag bei einer Veranstaltung des neugegründeten Lobbyvereins Deutsche Akademie für Fernsehen in einem Kölner Luxushotel.
ist leitender Medienredakteur der taz.
Die Podiumsdiskussion mit dem unverbindlichen Titel "Geht's noch?! Das Fernsehen stößt an seine Grenzen" eröffnete der Kabarettist Wilfried Schmickler mit einem wutschäumenden Rundumschlag gegen die "Super-Nanny" und all die anderen Freaks des Privatfernsehens und seiner Dokusoaps. Zu, sagen wir, Veronica Ferres oder Inga Lindström kein Wort. Die Gäste, zumeist aus dem Genre "Fiktion", kreischten vor Vergnügen, als hätte das alles mit ihnen nun wirklich nichts zu tun.
Auf dem anschließenden Panel war dann viel von Solidarität die Rede – die Branche müsse zusammenrücken, um sich der Übermacht der Sender und ihrer selbstbesoffenen Redakteure zu erwehren, lautete der Tenor der gutgemeinten Statements gutgestellter Kreativer, darunter Iris Berbens Hausregisseur Carlo Rola und Drehbuchautor Fred Breinersdorfer ("Sophie Scholl – Die letzten Tage"). Das Branchenprekariat, das etwa dem Gesellschaftsprekariat beim Leben zuschaut, war nicht vertreten.
Die Botschaft war klar: Zusammenhalt muss her – aber nicht mit jedem!
"Fernseher wird immer intelligenter – leider nur die Geräte", witzelte Comedian Dieter Nuhr am Abend darauf beim Deutschen Fernsehpreis und äußerte die Befürchtung, "dass sich bald die ersten Geräte bei einer Dokusoap erschießen werden". Das Branchenpublikum tickte schier aus vor Begeisterung über diese wohlfeilen Ressentiments. Im ersten Moment mag das lustig klingen, dabei ist es eher traurig, wie sich die Branche zerfleischt und damit selbst schwächt.
"Schafft den Fernsehpreis ab!", forderte Spiegel Online die vier Stifter ARD, ZDF, RTL sowie ProSiebenSat.1 nach der diesjährigen Gala auf. Die Zensur des Auftritts von Oliver Pocher in der am Tag danach ausgestrahlten TV-Fassung und eine weltfremde Sperrfrist hätten die Veranstaltung ad absurdum geführt.
Das ist richtig, die Abwicklung allerdings wäre die falsche Konsequenz. Der Deutsche Fernsehpreis hat eine Zukunft, wenn er sich ernst nimmt als Diskussionsforum über Programmqualität bei öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Sendern und nicht weiter den Selbstekel protegiert. Denn das deutsche Fernsehen kann nur so gut sein, wie seine Macher es sein lassen.
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