Kolumne Eben: Schöner Zelten

Flüchtlinge in Zelte stopfen gilt hierzulande als „menschenwürdig“. Kein Wunder. Hierzulande gilt Zelten auch als Menschenrecht.

3 qm Deutschland. Foto: dpa

Heißes Sommerwochenende in Deutschland und unter Zeltdächern wird gekühltes Bier getrunken, Pferden und Fußballspielern beim Rennen und Kindern und Nachbarn beim Planschen zugeguckt. Am Kaulsdorfer See trat das Böse nur mal ganz kurz in Form eines dicken deutschen und nackten Mannes auf, der zwei tobende Kinder anfauchte: „Aufe Fresse oder was?“

Flüchtlinge, die nicht an Badeseen, auf Sportanlagen oder Bierfesten Schatten suchend unter Zelten stehen, sondern vor und zwischen Zelten bei saharistischen Temperaturen darauf warten müssen, dass eine Behörde ihre Wartenummer ausruft und ihre Anträge bearbeitet, kriegen noch ganz anderes zu hören.

Dass zu viele Flüchtlinge den Deutschen (NPD) oder dem Kapitalismus in Deutschland (DIE WELT) unwürdig sind und die Zeltstädte nicht sehr schön, aber auch nicht sehr „menschenunwürdig“ sind (Sächsisches Sozialministerium).

Kann man ernsthaft auch nur einen Moment lang denken, dass es menschenwürdig ist, in einem Zeltlager unter ärztlich attestierten, mangelnden hygienischen und medizinischen Bedingungen zu leben? Ist es menschenwürdig, wenn man sich vor Eintritt in ein Zeltlager erstmal von einem Arzt in den Mund gucken lassen muss?

Zelten gilt in Deutschland als Menschenrecht. Dem Campingweltmeister Deutschland ist nichts selbstverständlicher als ein Leben in einem überwachten Zeltlager. Tausende Deutsche fahren jedes Jahr tausende Kilometer Auto, um auf Parkplätzen in Natur- und Bratwurstnähe ihre Zelte nebeneinander zu stellen, Zäune drumrum zu bauen, Überwachungskameras dranzuhängen, fünf Meter hohe Deutschlandfahnen aufzustellen und jeden, der die strikten Campingplatzregeln nicht einhält mit „Aufe Fresse oder was?“ anzufauchen.

Menschenwürdig ist ein Kampfbegriff, mit dem auch jene gefüttert werden, die bei der „Abfertigung“ von Flüchtlingen am liebsten die Stopp-Taste drücken würden. Ein Leben zwischen Dixie-Klos, Müllbergen und Essenschlangen, in dem man sich mit hunderten einen Wasserhahn teilen muss, wird man aber nicht mehr lange als menschenwürdig verkaufen können, wenn es sich nicht um den freiwilligen und freizeitvergnügten Aufenthalt in Wacken oder auf der Grav-Insel handelt.

Es wäre doch ganz schön, könnte der Kapitalismus einfach auch mal andersrum fies sein. Zu denen, die bestimmen können, ab wann es menschenunwürdig genug geworden ist, um Menschen in einem menschenleeren Land wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern ein paar Wohnungen herzurichten.

Man stelle sich einfach mal vor, am Eingang eines Campingplatzes in Dänemark oder Kroatien würde diesen Deutschen jemand sagen: „Entschuldigung, aber Sie kommen aus einem sicheren Herkunftsstaat. Wir können Sie nicht reinlassen. Unsere Zeltplätze sind voll. Wir können sie leider nicht mehr menschenwürdig unterbringen.“

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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