Kolumne Die eine Frage: Es gibt ein richtiges Leben: deines

Was macht Kim Kardashian, den US-Reality-Star, so großartig, was können Adorno-Leser von ihr lernen? Kleiner Tipp: Es ist kein Körperteil.

Von Kim lernen, heißt siegen lernen – das gilt nicht für Nordkorea, aber für Los Angeles Foto: dpa

Es gibt kein richtiges Leben, wenn man sich von Theodor W. Adorno kirre machen lässt. Bitte das jetzt mal mitnehmen. Und damit zu Kim Kardashian.

Das ist eine außerordentlich erfolgreiche US-amerikanische Unternehmerin und Selfmadefrau. Die Hauptprotagonistin des Kardashian-Klans, zu dem unter anderem diverse Schwestern gehören. Vermutlich die einflussreichste Frau des Planeten. Vor Merkel. Die Kardashians haben alles in allem 300 Millionen Folger, Kim auf Twitter allein 36,3 Millionen. Zum Vergleich: Katrin Göring-Eckardt hat 29.200, Katja Kipping 33.900.

Was ist das Besondere an Kardashian? In einem großartigen Artikel im US-amerikanischen Rolling Stone hat sich eine Autorin unlängst wirklich auf sie und ihr Denken eingelassen. Und notwendigerweise auch auf ihren Körper, genauer diesen „seltsamen, glorreichen Hintern“ (der Rolling Stone wusste, warum er eine Journalistin beauftragte).

Kardashian habe den früheren Tabu-Körperteil zur besten Ablenkung der Gegenwart von Klimawandel, Einkommensungleichheit und ISIS gemacht. Sie sei „unverschämt feminin“ in einer Zeit instabiler Geschlechterrollen. Zudem habe sie die Vagina-Repräsentation in den Medien emanzipiert und fairer gemacht. Nämlich nicht nur als Sexorgan verstanden, wie bei klassischen weiblichen Popfiguren, sondern auch als Organ, das blutet und aus dem Kinder herauskommen. Schrieb die Autorin.

Man könnte als Voreingenommener denken, die Kardashians seien ein kaputter Haufen. Man kann es auch andersherum sehen: In einer Gegenwart voller dysfunktionaler und zerbrochener Kleinfamilien leben sie das verlorene Großfamilienmodell im Sloterdijkschen Sinne. Sie reden, sie bitchen, sie huggen, sie erziehen aneinander rum, sie streiten, sie lieben und sie fotografieren sich. Dann gehen sie shoppen. Dann sprechen sie darüber und fotografieren sich und das Geshoppte.

Der entscheidende Grund, der Kim Kardashian zum Vorbild von Millionen (Milliarden?) macht, wird vermutlich nicht rational erfasst, aber intensiv gefühlt: Ihr Leben hat einen Sinn und ist in dem Sinn ein glückendes. Jetzt kann man den Sinn kritisieren: Er besteht darin, hot zu sein, famous zu sein und Geld zu verdienen, um shoppen zu gehen. Aber das Vorbildliche besteht nicht darin. Kardashian führt das Leben, das sie führen möchte. Das ist ein großes menschliches Glück, und dieses Glück strahlt sie offenbar aus.

46 Mal hat es laut BKA 2015 in deutschen Flüchtlingsheimen gebrannt. Kaum ein Fall ist aufgeklärt. Wir ermitteln in alle Richtungen, sagt die Polizei stets. Aber was heißt das? Die Geschichte eines Falls aus der Oberpfalz lesen Sie in der Titelgeschichte „Die Stadt und die Flammen“ in der taz. am wochenende vom 31. Oktober/1. November. Außerdem: Wer gibt schon gerne zu, dass er kokst? Die Wahrheit darüber, was wir wann und wo nehmen, kennt das Abwasser. Und: Viele Deutsche mögen Halloween nicht. Dabei ist es das Fest gelungener Integration. Das alles gibt es am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Während sie sich von Adorno absolut nicht kirre machen lässt, ist unsereins ständig uneins mit sich und von Adornos Satz gebremst, dass es kein richtiges Leben im falschen geben könne. Immer gleichzeitig unterwegs mit dem Bedürfnis, was „Schönes“ zu kaufen und der moralischen Geißelung dafür. Mit der gewaltigen Sehnsucht, schön zu sein und der schnippischen Weigerung, das Bedürfnis zu akzeptieren. Das kann weder Sinn ergeben noch Spaß machen.

Also, damit hat der Mann wirklich ganz viel kaputtgemacht.

Von Kim Kardashian kann man lernen: Es gibt kein richtiges Leben, außer dem Leben, das wir führen. Führen wir es richtig, also konsistent, besteht sogar die Chance, auf das große Falsche einzuwirken. Oder trotzdem viel davon zu haben. Führen wir es mit Adorno im Nacken, geht gar nichts. Dann kriegen wir weder das Shoppen richtig hin noch die sozialökologische Transformation (damit das auch gesagt ist). Dann ist unser einziger Trost, dass wir nicht so schlimm wie andere sind.

Nicht das Kim-Kardashian-Leben ist das Falsche, sondern das Leben als Kim-Kardashian-Hasser. Oder Prenzlauer-Berg-Hasser. Oder CSU-Hasser.

Es führt zu nichts. Es holt nur das Schlechteste aus uns heraus.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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